Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
eingegipstes Bein stützte, irgendwie zu balancieren wusste.
»Hallo, Thox«, sagte Jonas, und in seiner Stimme lag Betro ffenheit. Eine gut einstudierte Illusion.
Thox sah sein gebrochenes Bein, dann die Platzwunde an seiner Stirn, und er wünschte sich, der Unfall hätte Jonas den Kopf vollständig zerschmettert. Seine Gehirnmasse hätte an die Autoscheiben spritzen sollen, mit toten Augen wäre er dann zur Hölle gefahren.
»Was suchst du hier? Hast du noch nicht genug angerichtet?«, stieß er angewidert hervor und wendete sich sofort von ihm ab. Er hörte nur, wie Jonas in seine Wohnung humpelte und die Tür hinter sich schloss. Thox blieb an die Küchentheke gelehnt stehen und spürte die fassungslose Wut in seinen Körper schwemmen wie eine zerstörerische Flut. Selbst angesichts der Katastrophe, die Jonas verursacht hatte, besaß er immer noch die Dreistigkeit, hierher zu kommen, mit einem Kaffee in der Hand, und so Mitleid erregend in seine Wohnung zu spazieren, als würde er hier leben. Aber er gehörte nicht hierher. Für Thox gehörte er nirgendwo mehr hin.
»Du warst nicht auf der Beerdigung«, sagte Jonas nach einer elendig langen Pause.
Thox glaubte, es würde ihm den Boden unter den Füßen wegreißen. Er hatte nie vorgehabt, auf der Trauerfeier aufzutauchen, stattdessen wollte er alleine für sich trinken und um Anna trauern. Doch dass er diesen Tag im Rausch verschlief und vergaß, hatte er nicht beabsichtigt. Aber was für einen Unterschied machte das jetzt noch?
Und plötzlich hörte er sich selbst verbittert auflachen. »W arum sollte ich? Damit mich alle beim Trauern begaffen können? Nein, danke, dabei brauche ich keine Zuschauer. Anna hätte das verstanden.« Er hörte einige unregelmäßige Schritte, das Klopfen der Krücken auch dem Boden, dann tauchte Jonas neben ihm auf und hielt ihm den Kaffee entgegen. Selbst wenn sein Magen nicht bereits angegriffen gewesen wäre, hätte er diese Geste von Jonas nicht angenommen. Alles was er tat, tat er nur aus einem bestimmten Grund. Womöglich glaubte er, er könne die Wogen damit glätten, und danach würde schon wieder alles so sein wie zuvor. Aber von Jonas wollte Thox nichts mehr haben. Keinen Kaffee, keine Aufmerksamkeit, keine Freundschaft. Als Thox auf den ihm angebotenen Kaffee nicht reagierte, stellte Jonas den Becher auf der Theke ab und sagte: »Wir haben uns Sorgen gemacht.«
Erst jetzt sah Thox ihn an, und er blickte ihm direkt in die Augen. »Drauf g eschissen, hörst du? Drauf geschissen. Und jetzt verschwinde.«
Es war Jonas, der zuerst den Blick senkte. Er hatte ihm nicht lange standhalten können, und nun wirkte er seltsam ve rschämt, seine ganze Körperhaltung schien verlegen. Seine Schultern waren angespannt, seine Hände kneteten die Handstücke seiner Krücken. Eine theatralische Show. »Thox, ich … Ich wollte noch einmal sagen, wie leid mir dein Verlust tut. Anna war wirklich … das hatte sie nicht verdient.«
Thox blickte ihn fassungslos an. Seine Scheinheiligkeit übe rtraf langsam alles. Jonas hatte oft genug betont, dass er Anna für eine Schlampe hielt, die seiner nicht würdig wäre. Er hatte einen Streit nach dem anderen angezettelt, als Thox ihm von ihrer Verlobung erzählte. Jonas tat es um Anna nicht leid, dessen war er sich sicher. Wenn er überhaupt etwas bereute, dann lediglich, dass er es selbst gewesen war, der einen Keil zwischen ihre Freundschaft geschoben hatte. Aber das war nicht genug. Und plötzlich kam Thox noch ein ganz anderer schrecklicher Gedanke.
»Ist es wegen Stine?«
Jonas sah ihn erschrocken an, seine Maske fiel für einen minimalen Augenblick von ihm ab, und es war beinahe, als würde er zurück wanken, obwohl er sich nicht bewegte. Er war erstarrt wie eine Salzsäule. »Was meinst du?«
Thox durchbohrte ihn mit seinem kalten Blick. »Stine. Du hast sie nie vergessen, hab ich recht?«
Jonas wirkte verunsichert, wollte sich dies aber offensichtlich nicht anmerken lassen. »Du doch auch nicht.«
Thox wurde ungeduldig. Er war es leid, wie Jonas mit ihm und seinem Leben spielte. Er war seine geheuchelte A hnungslosigkeit und seine Täuschungen leid. »Ist das der Grund? Wolltest du mich dafür büßen lassen, in welche Situation ich uns damals gebracht habe?«, brachte Thox schließlich seine Vermutung auf den Punkt. Er bemerkte erst jetzt, wie laut er sprach. Seine Stimme klang seltsam belegt, als läge auf seinen Stimmbändern die Sünde der Vergangenheit. Seine Hände
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