Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
jemanden aufzugeben, den er liebt.«
Thox wusste, dass das nicht möglich war – er selbst hätte sein eigenes Leben g egeben, um Anna zu retten. Aber ihm war genauso klar, dass in diesem Fall andere Voraussetzungen galten. »Ein normaler Mensch vielleicht nicht – aber Jonas schon.«
Sie schwiegen eine Weile. Thox wusste, dass Vanessa nac hdachte und alles Gesagte zu begreifen suchte. Ihm selbst fiel dies nach all den Jahren immer noch schwer, wie sollte es ihr da in wenigen Minuten gelingen? Er wollte sie nicht zu einer weiteren Reaktion drängen, außerdem tat das Schweigen seinen Kopfschmerzen gut.
»Warum morgen?«, fragte sie irgendwann und durchbrach damit diese ang enehme und wohltuende Stille. »Der Tag, an dem ich sterben soll ist doch morgen. Das ist nicht der 09. August.«
Thox schüttelte den Kopf, obwohl er wusste, dass sie ihn nicht sehen konnte. »Nein, morgen ist nicht der 09. August. Morgen ist der 02. August. Du sollst nicht an dem Tag ste rben, an dem Anna starb, sondern an dem Tag, an dem Jonas angefangen hat, mein Leben zu zerstören.«
Wieder trat Stille ein, doch diesmal wusste Thox, dass sie nicht von Dauer sein würde. Etwas würde geschehen, vie lleicht jetzt, in ein paar Stunden oder auch morgen, aber eine bedrohliche Veränderung lag in der Luft, die seine Nackenhaare zu Berge stehen ließ. Und das hatte nichts mit ihren Worten zutun, die schon kurze Zeit später wieder wie eine sanfte Melodie des Todes in der Luft lag.
»Vielleicht werde ich es tun«, sagte sie ruhig.
Jetzt drehte er sich doch zu ihr um und blickte sie fragend an. »Was wirst du tun?« Ihre Schönheit traf ihn erneut unerwartet. Und als sie dann antwortete, erschien es ihm zum ersten Mal, als würde sie mit ihm auf Augenhöhe sein.
»Mich bei Jonas bedanken. Wenn du mich lässt«, sagte sie, und Thox senkte den Blick. Er wünschte, er könnte – doch das war ausgeschlossen.
10:05 Uhr
Mit jeder Minute nahm seine Idee mehr Gestalt an, bis sie sich schließlich in sein Gehirn gekrallt hatte und sich nicht mehr abschütteln ließ. Denn Thox hatte da so ein Gefühl. Er konnte es nicht festmachen, weder woher es kam, noch was es überhaupt war, doch seit seinem Gespräch mit Vanessa war es da, präsent und unmöglich zu ignorieren. Es musste etwas gewesen sein, das sie gesagt hatte, etwas über Jonas, das ihn misstrauisch genug gemacht hatte, um seinen gesamten Plan über Bord zu werfen. Eine Idee war gewachsen, und nach einer erfrischenden Dusche war er bereit, sie in die Tat umzusetzen.
»Was tust du?«, fragte Vanessa irritiert, als er sich zu ihr herunter beugte und i hre linke Fessel von dem Bettgestell löste. Er sah sie nur bedeutend an, sagte jedoch nichts. Als ihr Arm frei war, ließ Vanessa ihn schlaff auf die Matratze sinken und stöhnte erleichtert auf. Doch sie konnte Thox nichts vormachen; ihm war mehr als bewusst, dass ihre Sinne geschärft waren und sie gespannt darauf wartete, was als nächstes geschah. Doch seine nächste Frage hatte sie vermutlich nicht erwartet.
»Wo ist dein Handy?«
»In meiner Jacke, aber der Akku dürfte längst leer sein. Wieso fragst du?«
Er wusste noch, dass er Vanessas Jacke an seine Garder obe gehängt hatte, als sie vor ein paar Tagen zu ihm gekommen war. Mit schweren Schritten verließ er das Schlafzimmer. »Ich möchte, dass du Jonas anrufst«, rief er ihr dabei durch das Wohnzimmer zu und erreichte im selben Augenblick den Jackenständer.
»Wozu brauchen wir dafür unbedingt mein Handy?«, hö rte er Vanessa aus dem Schlafzimmer rufen.
Thox hielt kurz inne. Sie sprach schon wieder von ihnen, als wären sie ein Team. Doch es war seine Idee, sein Plan, und sie sollte endlich aufhören, so zu tun, als würde es doch noch irgendwie ein Happy End geben. Doch obwohl ihm b ereits eine Erwiderung auf der Zunge lang, sagte er nichts und wendete sich wieder seinem eigentlichen Vorhaben zu. Ungeduldig durchwühlte er die unzähligen Taschen ihrer braunen Lederjacke. »Ich möchte, dass du ihm irgendeine Geschichte erzählst. Spontane Reise mit Freunden, Besuch bei Onkel und Tante – ganz egal. Hat dein Handy eine Freisprechanlage?«
»Ja klar, aber wozu …?«
»Ich will hören, wie er reagiert«, erklärte er einfach. Doch es war noch viel mehr als das. Er wollte Jonas aus der Fassung bringen, ihn wanken sehen und herausfinden, wie er sich verhielt, wenn er glaubte, Thox würde seine Drohung nicht wahr machen. Denn tief in seinem Inneren hatte Thox die
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