Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
auf, betrachtete sie eingehend und strahlte sie an. Tamara sah gut aus, wie immer ähnelte sie der jungen Halle Berry.
»Wie war dein Urlaub?«, fragte Vanessa schließlich, und beide setzten sich an den kleinen, wackeligen Metalltisch. Die letzten vier Wochen hatte Tamara bei ihren Großeltern in Johannesburg verbracht, um nach zwei Jahren Arbeit ohne Urlaub – sie war angehende Ärztin – etwas auszuspannen. Sie und Vanessa waren früher Nachbarinnen gewesen, als beide noch bei ihren Eltern gewohnt hatten, und obwohl Tamara fünf Jahre älter war als Vanessa, hatten sie sich immer zusammengehörig gefühlt. Vanessa vertraute ihr bedingungslos. Es gab niemanden, der so viel über sie wusste wie Tamara. Sie wusste alles und hatte sich dennoch nie von ihr abgewandt.
»Warm, erholsam, viel zu kurz. Ist mal wieder typisch, dass die Postkarte später da ist als ich.«
Vanessa grinste. »Du hast mir eine Postkarte geschrieben?« Das war eigentlich gar nicht Tamaras Art.
Wie auf Kommando verfinsterte sich theatralisch ihr G esicht. »Wo denkst du hin? Ich schreibe doch keine Postkarten!«
»Okay, ich tue dann ganz überrascht, wenn sie kommt.«
»So ist‘s brav.« Die Kellnerin kam und nahm Tamaras Bestellung auf. Als sie wieder alleine waren, blickte Tamara ihre Freundin prüfend an. »Und was ist mit dir? Du wirkst verändert.«
Vanessa zögerte nicht. »Ich habe jemanden kennengelernt«, erklärte sie und bemerkte, wie unzufrieden sie klang.
Sie erzählte Tamara von den anfänglichen Schwierigkeiten im Büro, der Demütigung durch Friederike und ihren Folgen, bis zu der überraschenden Begegnung mit Jonas vor dem Tattooladen, ihren Dates und dem Kuss vor versammelter Mannschaft. Als Vanessa schließlich ein Ende gefunden hatte, blickte Tamara sie mit einer in Falten gelegten Stirn an.
»Hast du ihn schon eingeweiht?«
Vanessa blickte ihre Freundin entsetzt an. »Bist du verrückt?«
»Nicht alle sind wie Lennart, Vanessa!«
Energisch schüttelte Vanessa den Kopf. »Lass uns nicht über ihn sprechen, bitte«, flehte sie.
Doch Tamara ließ nicht locker, das tat sie nie. »Was stimmt dann nicht, dass du ihm die Chance verweigerst, dich glüc klich zu machen?«
Vanessa biss sich auf die Unterlippe und bemühte sich, sie diesmal nicht zum Bluten zu bringen. »Wir haben keinen Sex«, gestand sie schließlich.
Tamara war offensichtlich überrascht. »Echt nicht? Warum nicht?«
Anstelle der Unterlippe war nun der Fingernagel ihres rec hten Daumens an deren Platz getreten. »Er will warten. Sex ist eine besondere Sache für ihn.«
Vanessa konnte sehen, dass Tamara grinsen wollte, es sich jedoch verbot. »Und du glaubst ihm nicht?«
Sie horchte in sich hinein und konnte einen Aufschrei der Entrüstung vernehmen. »Würdest du es glauben, wenn das ein Kerl zu dir sagt? Das liegt doch nicht an mir, dass ich da misstrauisch werde, oder?«
»Hast du denn das Gefühl, dass er gerne mit dir zusammen ist?« Tamara hatte es immer abgelehnt, sich in ihrem Stud ium auf Psychologie zu spezialisieren, doch Vanessa fand, aus ihr wäre eine gute Therapeutin geworden.
»Ich weiß nicht, ich glaube schon. Vielleicht macht er mir aber auch nur was vor.«
Jetzt nahm Tamara ihre Hand. »Warum sollte er, Vanessa? Halte dich immer an dieser Frage fest. Warum sollte er?«
»Aber Lennart …«
Sie wurden erneut von der Kellnerin unterbrochen, die Tamaras Café Latte brachte und wortlos wieder verschwand.
Noch bevor Vanessa es wagte, etwas zu sagen, ergriff Tam ara wieder das Wort. »Lennart hat dir nie etwas vorgemacht, und das weißt du. Das Problem lag in seiner grenzenlosen Dummheit, seiner Engstirnigkeit, der Faulheit, nachzufragen. Nicht alle sind wie er, Vanessa.«
Sie ließ ermattet die Schultern hängen und kaute weiter auf ihrem schon g eschwollenen Daumen. »Ich weiß, Tammy, aber Lennart hat mich geprägt. Ich will nicht, dass so etwas jemals wieder passiert. Nie wieder möchte ich so sein.«
Wieder verfinsterte sich Tamaras Gesicht, als würde sie von einer unangenehmen Erinnerung heimgesucht. Ihre Wo rte dagegen waren klar und geformt von der Gegenwart. »Aber Lennart ist weg, dafür hast du gesorgt. Glaubst du nicht, dass Jonas dich verstehen würde?«
Vanessa versuchte, es sich vorzustellen, und mit Tam ara in ihrer Nähe gelang es ihr sogar. Wenn sie bei ihr war, kam sie sich weniger anormal vor. Wenn Tammy sie akzeptieren konnte, warum nicht auch Jonas? »Ich soll es ihm wirklich sagen?«
»Wenn du
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