Scherben: Du tötest mich nicht (German Edition)
hingewiesen hatte, dass er ihn nicht sehen wollte.
Conny scharrte verlegen mit den Füßen, doch Nicky wus ste es besser. Er war nicht verlegen und er war auch nicht unsicher. Das war alles Fassade um zu überspielen, was für ein skrupelloser Abschaum er war. Nicky war es endlich gelungen, ihn zu durchschauen. Conny hatte auf jede Frage eine Antwort, auf jeden Vorwurf eine Verteidigung, auf jede Unklarheit eine Erklärung.
»Ich … ich habe gehört, du ziehst weg?«, fragte Conny hin ter ihm. Jetzt drehte sich Nicky doch um.
»Wird Zeit, dass ich hier wegkomme«, erwiderte er nüc htern. Er konnte Conny nicht in die Augen blicken.
»Nicht ein Wort hast du gesagt!«
»Warum sollte ich? Wir sind keine Freunde, also warum sollte ich?« Nicky wünschte sich, Conny würde verschwinden, sich einfach in Luft auflösen, als hätte er niemals existiert, damit er endlich nach vorne sehen konnte.
»Wohin gehst du?«, fragte Conny schließlich.
»Glaubst du wirklich, dass ich dir das sage? Ich hoffe, du wirst es niemals herausfinden.«
Conny nickte, als hätte er die offensichtliche Abneigung ve rstanden, aber das tat er nie. Dennoch konnte Nicky nicht leugnen, dass Conny verletzt aussah, nicht gekränkt, vielmehr enttäuscht. Vermutlich hatte er diesen Gesichtsausdruck tagelang zu Hause vor dem Spiegel geübt.
Es folgte bedrückendes Schweigen. Nicky hatte nicht die A bsicht, sich um eine Fortsetzung des Gesprächs zu bemühen, und suchte bereits nach einer Möglichkeit, es ein für allemal zu beenden.
»Was ist mit der Schule? Du bist kurz vor dem Abi, warum das alles hinschmeißen?«, fand Conny schließlich seine Wo rte wieder, nachdem er Nicky aufmerksam beobachtet hatte.
Nicky zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Ich bin ach tzehn und ich muss hier weg, also scheiß auf die Schule!«
»Du läufst weg.«
»Wie bitte?«, zischte Nicky gereizt und verschränkte seine im Wintermantel verpackten Arme vor der Brust.
Conny trat vorsichtig einen Schritt auf ihn zu und sprach nun mit leiser und gedämpfter Stimme, als würde er ein Gehei mnis preisgeben wollen.
»Du flüchtest vor deiner Vergangenheit, statt dich ihr zu ste llen. Zumindest sieht es so aus.«
»Und wenn schon!«, platzte es wütend aus Nicky heraus. »Ich scheiß drauf, wie es aussieht! Ich muss hier weg! Alles erinnert mich …«, jetzt senkte auch er die Stimme, »an die Nacht im Wald … an das, was wir getan haben. Meine Mu tter … ich muss hier weg! Ich habe die Schnauze voll davon, regelmäßig von dir belästigt zu werden! Unsere Freundschaft ist tot, begreif das endlich! Nichts wird mehr so sein, wie es einmal war. Das habe ich dir schon vor Jahren gesagt, und es bleibt dabei.«
Conny blickte ihn aus großen, verständnislosen Augen an. Dann streckte er vo rsichtig seine Hand aus und legte sie auf Nickys Unterarm. »Ich hatte nie einen besseren Freund als dich, Nicky!«
Angewidert zog Nicky seinen Arm weg. Er wollte nicht, dass Conny ihn anfasste, vollkommen egal, wie viel Stoff dazw ischen lag. Er hatte das Gefühl, als würde Connys Schlechtigkeit durch den Stoff hindurch sickern, auf seine Haut gelangen und ihn infizieren. »Lass mich in Ruhe. Ich will dich nie wieder sehen und auch nie wieder von dir hören, und ich hoffe inständig, dass ich endlich meine Ruhe von dir habe, wenn ich dieses gottverdammte Kaff verlasse!«
Conny sah ihn verständnislos an. »Warum gibst du uns keine Chance? Habe ich denn nicht bewiesen, dass ich es ernst mit unserer Freundschaft meine?«
Doch Nicky verspürte kein Mitleid. Stattdessen hatte er das Bedürfnis, ihm ins Gesicht zu spucken, dafür, dass er es immer noch nicht begriffen hatte. »Warum ich dir keine Chance gebe? Das kann ich dir sagen, Conny: Weil du ein Lügner bist! Du hast mich angelogen. Damals, in der Nacht im Wald. Du hast mir mehrfach ins Gesicht gelogen und hast damit eine Katastrophe verursacht!«, rief Nicky jetzt, und es war ihm vollkommen egal, wer ihn hören konnte. In den letzten drei Jahren hatte er mehrfach mit dem Gedanken gespielt, es jemandem zu erzählen, zu gestehen, ganz gleich, was es für ihn bedeutete. Sein Gewissen brannte so schmerzhaft, dass er manchmal das Gefühl hatte, es würde ihn von innen auffressen. Doch die Angst davor, diesen Schritt tatsächlich zu tun, und die Gewissheit, dass dennoch ein kleines bisschen Gerechtigkeit geschehen war, hatten ihn letztendlich immer wieder davon abgehalten.
»Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Nicky. Ich habe
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