Scherben
klinkte aus. Er wurde dunkelrot, knallte seine Serviette auf den Tisch und hielt mir einen Vortrag darüber, dass ich gefälligst wie ein zivilisierter Mensch mitgeschlossenem Mund essen solle. Danach sagte niemand mehr etwas.
Ich las noch bis spät in die Nacht, irgendwas meinem Alter Unangemessenes über reiche Paare, die in Whirlpools voller Champagner baden, sich Kokain aufs Zahnfleisch und die Spitzen ihrer rosa Schwänze und geschwollenen Klitoris reiben und nächtelang ficken ficken ficken. Als ich endlich das Licht ausmachte, fiel mir ein glühender Punkt auf der anderen Seite des Dachzimmers auf, der in der Dunkelheit über der Matratze meiner Mutter einen Augenblick lang lautlos aufleuchtete und wieder verschwand.
Flüstern:
»Mama?«
»Ja?«
»Bist du noch wach?«
»Ja.«
»Alles klar?«
Pause. Dann:
»Ja.«
Mir fielen keine Fragen mehr ein, also überließ ich der Stille den Sieg. Ich schloss die Augen und presste meine Wange gegen die kühle Seite des Kissens.
»Was sollen wir nur machen?«, flüsterte sie, und ich riss die Augen wieder auf. Ihre Stimme war so leise, kam aus dem Nichts und klang wie die Gedanken in meinem eigenen Kopf. »Ich kann nicht … ich halt … ich halte das hier nicht aus. Ich gehe kaputt. So wie die uns behandeln …«
Sie unterbrach sich und zog an ihrer Zigarette. Der Punkt leuchtete auf.
»Wir müssen ihnen dankbar sein dafür, dass sie uns hier wohnen lassen.«
»Was hast du gesagt?«, fragte ich, obwohl ich es sehr gut verstanden hatte.
»Nichts. Schlaf jetzt.«
Der sprichwörtliche Tropfen, der das Fass am nächsten Tag zum Überlaufen brachte, war eine Feldmaus. Wir waren über einen Monat in Zagreb, und Mutter fühlte sich so schlecht, weil wir Zvonkos Familie auf der Tasche lagen, dass sie wie eine Verrückte schuftete, um sie zu entschädigen. Sie kaufte ein, bezahlte mit unseren bescheidenen Ersparnissen, die rasch schwanden, und bereitete das gesamte Essen zu. Sie schrubbte jede Fliese, sämtliche Holzoberflächen, jeden Backstein und jedes Fenster. Sie saugte alle Teppiche und wusch die gesamte Wäsche. Sie spülte das komplette Geschirr. Sie machte alles und noch ein bisschen mehr. Sie war zum Dienstmädchen geworden, ein wortloses Wesen mit gelben Gummihandschuhen, das auf dem Boden kniete und schrubbte, unterbrochen nur von kurzen Pausen, in denen sie vor sich hinstarrte und rauchte. Das Problem war natürlich, dass sich Zvonko und Zana und sogar ihre Tochter daran gewöhnten, dass sie einfach so Essen auf die Teller bekamen und ihre schmutzigen Klamotten innerhalb weniger Minuten vom Fußboden verschwanden, um am nächsten Tag gewaschen, gebügelt und ordentlich gefaltet wieder in ihren Schubladen aufzutauchen. Sie fingen an, sich zu beschweren, wenn ihre Socken nicht so zusammengelegt waren, wie sie sich das vorstellten, wenn kein Bier im Kühlschrank stand oder der Staubsauger den Fernsehempfang störte. Zu allem Überfluss waren sie Cousins meines Vaters und hielten meine Mutter, wie der Rest seiner Familie, für eine Frau von niederer Herkunft.
An unserem letzten Tag in Zagreb sah Zvonko fern, Zana lag mit Migräne im Schlafzimmer und Mutter suchte gerade einen Topf, als eine Maus aus der Speisekammer kam und zitternd in der Ecke zwischen zwei Schränken sitzen blieb. Angewidert bat meine Mutter Zvonko, sich darum zu kümmern, woraufhin dieser genervt Zana rief, sie solle etwas tun, und diese ihn als Idioten beschimpfte und ihm erklärte,ihr platze der Schädel und was zum Teufel er sich eigentlich einbilde. Schnaufend und fluchend hob er seinen riesigen Arsch, stampfte in die Küche und zertrampelte die kleine Kreatur mit dem Absatz. Blut spritzte auf die Schränke und über die Fliesen. Anschließend hob er die winzigen Überreste auf, warf sie in den Müll und ging zurück zu seinem Sessel, wobei er blutige Fußspuren auf den Fliesen, den Dielen und dem Teppich hinterließ. Meine Mutter unterdrückte ein Würgen und bat ihn höflich, den Müll runterzubringen, aber er erwiderte, es sei noch nicht Freitag und stellte den Fernseher richtig laut.
Das war’s.
Mutter rauchte erst eine Zigarette, blickte mit krummem Rücken, die Ellbogen aufs Fensterbrett gestützt nach draußen und brachte den Müll schließlich selbst raus. Dafür brauchte sie sehr lange. Als sie wiederkam, ging sie schnurstracks zu unseren Sachen und fing an zu packen. Zvonko war außer sich vor Wut. Mein Bruder weinte. Ich saß mit einem Buch auf dem Schoß da und
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