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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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Nebelfetzen, die sich langsam auflösten. Sie sagte, das sei ein Omen gewesen. Ein gutes.
    Vater rief aus heiterem Himmel an, nachdem wir zwei Wochen nichts von ihm gehört hatten. Er sagte, er sei an der Bushaltestelle in Đakovo, und wollte wissen, wie er zum Haus komme. Er war mit einem der ersten Busse gekommen, die es aus dem belagerten Tuzla geschafft hatten. Ich raste wie aufgezogen rüber zu Pepa, sprang übermütig über alles, was im Weg stand, und schrie den Namen meines Bruders.
    Vater war blass und dünn. Seine Kleider fielen an Stellen ein, an denen sie sich eigentlich auswölben sollten. Auf seinen Augen lag ein Film, als wäre er tot oder alt oder gerade erst geboren oder betrunken. Er aß hastig. Er war unrasiert. Wenn er sprach, sprach er leise. Wenn Pepa ihm Wein einschenkte, sprach er lauter und mehr. Er schüttelte den Kopf, als könnte er noch immer nicht glauben, was er gesehen und gefühlt hatte. Und trotzdem war er immer noch optimistisch, wenn er über den Krieg sprach, trotzdem behauptete er nach wie vor, das Ganze würde nicht lange dauern, die Leute seien doch nicht so dumm, es bis in den Winter zu ziehen. In derNacht redete er mit Mutter, und Mehmed und ich lagen mit weit aufgerissenen Augen unter unseren Decken, hielten uns an den Händen und lauschten. Wir schnappten Worte auf wie Amerika und Zagreb , wir hörten Mutters Weinen und Vaters tröstendes Gemurmel.
    Vier Tage später hatten sich unsere Eltern entschieden, und wir stiegen trotz des gut gemeinten Protests von Pepa und seiner Familie in einen Bus, der uns zurück nach Bosnien bringen sollte. Bevor wir abfuhren, warf Mutter ganze Arme voll Kleidung weg und packte unsere Taschen voll mit Öl, Mehl, Dosenfleisch und -fisch, Kaffee und Zucker, Hefe und Milchpulver. Wieder musste ich meine Bücher zurücklassen.
    »Alles wird gut«, sagte Mutter, als wir auf unseren Sitzen saßen und sie mich weinen sah.
    Aber sie hängte eine Plastiktüte mit ihren Zigaretten und einer Flasche Cognac seitlich an ihr Fenster. Das war ein bisschen seltsam, aber ich sagte nichts.
    Irgendwo in der Nähe von Karlovac, noch in Kroatien, hatte der Bus eine Panne, und wir verloren einen halben Tag, weil wir in der Sonne an einer verlassenen Tankstelle auf die Lieferung eines Ersatzteils aus Zagreb warteten. Ich suchte den Blick meiner Mutter, weil ich wissen wollte, was sie dachte, aber sie rauchte, und ich konnte ihre Gedanken nicht lesen.
    Später nahmen wir jeder eine Tablette und schliefen. Jedenfalls Mehmed und ich. Wir waren kurz auf einer Fähre. Es war dunkel. Dann saßen wir wieder im Bus, fuhren langsam, hielten, zeigten Papiere vor, fuhren weiter, schliefen.
    Ich wachte im Morgengrauen auf, und Mutter nahm sofort meine Hand und drückte sie, ihr Gesicht war ernst vor Angst. Die Leute raunten im Halbdunkel wie auf einer Beerdigung. Der Geruch von Erbrochenem, von ranziger Mayonnaise, Motorenöl und altem Schweiß lag in der Luft. Hinten weinte ein Mädchen, und eine Mutter sagte ihm, es solle still sein und sich nicht wie ein Baby benehmen. Mein Vater war auf den Beinen, beugte sich in den Gang, tat es den anderen Männern gleich, versuchte herauszubekommen, was los war, und einen geschäftigen Eindruck zu machen.
    Wir hatten an einem Hang gehalten und kamen nicht weiter. Die Fahrer diskutierten, sprachen mit gesenkten Stimmen und versteinerten Mienen, bis einer von ihnen schließlich nach hinten kam und uns erklärte, der Motor sei zu schwach, um den steilen Hang hinaufzufahren. Wir sollten alle aussteigen, unser Gepäck aus dem Bauch des Busses holen und helfen, ihn den Berg hinaufzuschieben.
    Später, als die Männer die vollgestopften Taschen aus dem schwangeren Bus zogen – wild entschlossen, sich nützlich zu machen, stark zu sein, was ihre Angst nur noch sichtbarer und durchdringender machte –, sah ich meine Mutter mit hängenden Schultern am Rand der Schotterstraße stehen.
    Da begriff ich, wie weit oben auf dem Berg wir bereits waren und wie feucht und grün von dort, wo sie stand, alles im Tal aussah, und ich musste das entfernte Bimmeln der Glöckchen nicht erst hören, um zu wissen, dass es dort auch Schafe gab. Ich ging zu ihr und blickte voller Ehrfurcht hinunter.
    »Das habe ich in meiner Vision gesehen«, sagte sie, aber das wusste ich bereits.
    Zu Hause.
    Wir gingen durch die Wohnung, in Zimmer hinein und wieder heraus, sahen in jede Ecke, zogen Schubladen und Schränke auf, strichen mit den Fingern über Wände, schoben

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