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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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Schritte, und in der Wohnung über euch knallen Türen. Dein Herz vibriert wie ein gefangener Spatz. Du sitzt da, wartest.
    Dein Vater steht in seiner weißen Unterhose in der Tür. »Keine Angst, Jungs«, sagt er. »Das machen die immer nachts.« Du guckst deinen Bruder an, aber der schläft noch halb. Man könnte direkt unter seiner Decke eine Kanone abfeuern, er würde sich kaum rühren. Dein Vater hilft ihm auf. Er redet weiter, aber du kannst ihn nicht hören. Dein Herz schlägt scheinbar in deinem Ohr, übertönt alle anderen Geräusche. Durch den Lärm hindurch hörst du Worte wie Luftschutzraum und schnell . Er geht raus. Du bleibst sitzen. Eine Sirene schrillt durch die Nacht. Laut.
    Dann erinnerst du dich an alles. Dein Körper schaltet auf Autopilot, und du ziehst hastig ein paar Klamotten an. Die ganze Zeit wiederholst du in Gedanken: Das passiert wirklich. Das passiert wirklich. Das passiert wirklich … Rambo, der Hamster, rennt in seinem Käfig wie verrückt auf der Stelle. Sein Rad macht quietschquietschquietsch . Du rennst hinter deinem Bruder in den Gang. Deine Mutter stopft Pflaumen in eine Plastiktüte, sie ist blass im Gesicht. Das Sweatshirt, das sie trägt, ist seitenverkehrt. Die Nähte sind voller Fusseln. Sie schiebt dich zur Tür.
    Vor der Tür ist das Treppenhaus dunkel, aber voller Menschen. Ein Nachbar kommt mit einer Taschenlampe und einem kleinen Mädchen auf dem Arm aus dem Stockwerk über euch. Er hat nur einen Hausschuh an. Durch die Ringe unter seinen Augen wirkt sein Gesicht wie eine Maske. Er sieht aus wie ein Aasgeier.
    »Lange nicht mehr bombardiert worden, was, Mirsad?«, sagt dein Vater sarkastisch.
    »Arschlöcher!«, sagt der Mann.
    WUMM!
    Alle rennen nach unten. Du tauchst in den Strom, bleibsthinter deinen Eltern und deinem Bruder. Siebzehn Stufen runter, dann eine Kehrtwende. Das machst du viermal, während immer mehr Leute aus den unteren Stockwerken dazukommen. Das Adrenalin macht dich benommen. Die letzte Treppe ist länger, und sie führt dich in den Bauch des Gebäudes.
    Schon bald bist du in einem riesigen Betonraum mit zwei Reihen Stockbetten, die sich über die Länge eines Fußballfelds erstrecken. Metallrohre ziehen sich kreuz und quer über die Decke. Sie sind mit schwarzem Klebeband umwickelt, aber an einigen Stellen trotzdem undicht. Die brötchenförmigen Leuchtkörper strahlen unregelmäßig von den Wänden. Ihr Licht ist grau, es lässt alles schmierig und feucht aussehen. Die Leute schleichen wie Skelette zu den Betten, steigen in ihre Mausoleumsgräber. Du stehst sprachlos da, das Herz in der Hose.
    Dein Vater zeigt auf zwei Stockbetten in der Ecke. Er wirkt stolz und konzentriert, entschlossen. Er sagt dir, dass du keine Angst haben sollst. Du setzt dich auf die untere Matratze des rechten. Deine Mama nimmt die links. Sie fragt deinen Bruder, ob er eine Pflaume möchte, und kramt in ihrer Tüte. Er möchte nicht. Sie drückt eine Pflaume mit Daumen und Zeigefinger, hält beide Hälften ins Licht und untersucht sie auf Maden. Du fragst dich, wie sie so ruhig sein kann. Es ist auch ihre erste Begegnung mit dem Krieg. Als sie an sich herabsieht, bemerkt sie, dass sie ihr Sweatshirt verkehrt herum trägt. Sie bricht in Tränen aus und lässt alles auf den Boden fallen. Dein Vater gibt ihr eine Tablette. Sie nimmt sie, legt sich hin, schluchzt und wiegt ihren Oberkörper. Sie sieht dir direkt in die Augen und sagt: »Du bist kein Verräter.« Du hast keine Ahnung, was sie meint. Einen Moment lang lächelt sie. Du starrst sie entsetzt an, dann wendest du den Blick ab.
    Du bemerkst eine vierköpfige Familie, die gerade eingetroffen ist und sich auf der anderen Seite des Gangs auf zweiStockbetten niederlässt. Sie sehen durchschnittlich aus, unauffällig, ihre Bewegungen sind mechanisch. Aber der Sohn ist irgendwie komisch. Sein helles Haar ist voller Wirbel, und auf seinem T-Shirt steht Don’t fuck with Chuck . Der Vater zieht einen plattgedrückten Karton unter einem der Betten hervor und baut ihn zusammen. Dann, du kannst es kaum glauben, zieht jeder von ihnen ein paar Spielkarten aus der Tasche, und sie spielen eine offenbar gerade unterbrochene Partie weiter. Die stecken es gut weg , denkst du und siehst dir deine eigene Familie an. Deine Mutter liegt jetzt reglos da, sie sieht aus wie aus Wachs. Ihre Augen sind glasig. Dein Vater dreht eine Runde in der »Nachbarschaft«, plauscht mit den »Nachbarn«. Vielleicht ist er
    WUMM!
    Nummer drei. Der Gedanke

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