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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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Draußen?«
    »Keine Zeit. Ich muss mich fertig machen. Kann das nicht warten?«
    Bokal beugte sich mit nacktem Hintern demonstrativ über eine Requisitenkiste und kramte darin herum.
    »Es geht um das, worüber wir gesprochen haben.«
    Asmir hatte uns gesagt, dass Branka verlange, er solle ein paar Stellen aus dem Stück streichen, in denen wir uns über die Armee lustig machten, um die Militärs milde zu stimmen. In Saint-Exupérys Buch verlässt der kleine Prinz seinen kleinen Planeten, um sich die Welt der Erwachsenen anzusehen, und stellt fest, dass sie absurd ist, dass alle allein sind in der Abgeschlossenheit ihrer jeweiligen fiktionalen Welt, an der sie endlos weiterstricken. In seiner Adaption hatte Asmir die Figur eines archetypischen Soldaten hinzugefügt, da Soldaten zu unserer täglichen Erfahrung gehörten.
    Branka hatte ein Problem mit dem Soldaten, vor allem aber damit, dass er eine echte Waffe trug. Ramona, das Mädchen, das ihn spielte, brachte zu jeder Probe die Schmeisser ihres Großvaters aus dem Zweiten Weltkrieg mit. Die Waffe war eine Antiquität und natürlich nicht geladen, aber bei Kriegsbeginn 1992 war den Bürgern befohlen worden, sämtliche Waffen abzugeben, weil es einen ernsthaften Mangel gab. Wenn General Lendo in einem verkopften Theaterstück eine echte Pistole sah, die eigentlich einer seiner Männer an der Front in den Händen halten sollte, würde er unserem Anliegen womöglich mit weniger Sympathie begegnen. Was das anging, teilte ich Brankas Meinung. Die Pistole war nicht wichtig, und wir hätten sie sowieso nicht mit nach Schottland nehmen können. Asmir wollte seinen Dickschädel durchsetzen, um Branka zu ärgern.
    »Ich ändere überhaupt nichts«, sagte Asmir. Brankas Kinn bebte.
    »Begreifst du überhaupt, was du da machst?«
    »Ich mache meinen Job und verteidige die künstlerische Integrität des Stücks.«
    »Du sabotierst alle, dich eingeschlossen. Ganz zu schweigen davon, dass du wahrscheinlich die ganze Arbeit zunichtemachst, die ich investiert habe, um das hier zu ermöglichen.«
    »Welche Arbeit? Und was hast du ermöglicht? Wir wurden zum Fringe Festival eingeladen. Die Truppe. Und zwar deshalb, weil wir das Stück so spielen, wie wir’s spielen. Nicht du oder das Haus der Jugend.«
    »Ihr kommt nur als Institution aus dem Land.«
    »Wir sind ja auch eine Institution.«
    »Seid ihr nicht. In den Augen der Regierung seid ihr ein Haufen Einzelner, die ihr Land mitten im Krieg verlassen wollen. Ihr seid offiziell kein Ensemble, ihr habt keine Empfehlungsschreiben, keine Visitenkarten, keine Bankkonten, keine ständige Adresse, keine Postanschrift, kein Telefon, kein Fax, und ihr zahlt auch keine Steuern. Aus Sicht des Staates existiert ihr praktisch gar nicht.«
    Es klopfte an der Tür, und Branka öffnete sie, ohne hinzusehen. Es war Ramona in einer stilisierten schwarzen Uniform. Sie trug eine Kappe, die eher an Pariser Gendarmen als an Soldaten erinnerte. Die Maschinenpistole hing quer vor ihrem Bauch. Als Bokal sie sah, wandte er sich ab und stieg hastig in seine königliche Hose. Ramona löste den Blick von seinem Hintern.
    »Tut mir leid, aber wir fangen an«, sagte sie.
    Branka wandte sich an Ramona.
    »Ich halte das wirklich nicht für klug, den Militärs das Ding da zu zeigen.«
    Ramona sah Asmir an.
    »Die Pistole bleibt. Das Kostüm funktioniert nicht ohne.« Asmir schob sich an Branka vorbei, stieß sie dabei fast gegen den Türrahmen. »Wegen dir haben wir jetzt keine Zeit mehr für unsere Meditation.«
    Irgendwo spielte Omar die ersten Töne seiner Begleitmusik auf dem Klavier, ich nahm Boros Hand, und wir rannten wie die Wilden durch die Gänge zu den geöffneten Türen unseres Proberaums, vor dem uns die Mädchen in ihren Kostümen mit fast synchronen Armbewegungen signalisierten, dass wir uns beeilen sollten.
    »Wieso hat das denn so lange gedauert«, flüsterten sie und zupften Boros Kostüm zurecht. Beim dritten Takt der Klaviermelodie, genau im richtigen Moment, knipste Boro seine Taschenlampe an und marschierte in den Raum.
    »Welcher ist es denn?«, fragte ich eins der Mädchen und suchte die verkniffen und unbehaglich dreinschauenden Gesichter der Menschen im Publikum ab, die mit verschränkten Armen oder zu Fäusten geballten Händen an der Wand saßen. Sieben oder acht von ihnen trugen Uniform. Die Mädchen zeigten auf einen riesigen Mann mit weißen Haaren und einer kahlen Stelle. Sein schwarzes Barett hatte er durch die Schulterklappe

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