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Scherben

Scherben

Titel: Scherben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ismet Prcic
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Hochhauses und direkt daneben, abgeknickt und auf den Kopf gestellt, die obere. In einem Film hätte man das unrealistisch gefunden, überspitzt.
    Es gab immer mehr Kontrollpunkte, und wir mussten immer länger warten, um sie zu passieren. Die kroatischenSoldaten am Grenzübergang warfen uns böse Blicke zu und ließen uns sämtliche Taschen auspacken und ihren Inhalt auf dem Asphalt verteilen. Wir mussten stundenlang in der Sonne stehen und anschließend noch mal ewig bei geschlossenen Fenstern im Bus sitzen. Aber wir alle hatten gültige Transitvisa in unseren Pässen, und sie mussten uns durchlassen.
    Als wir endlich wieder fuhren, war es, als hätte sich der Luftdruckwechsel verändert, als wäre die Luft in Bosnien flüssig. Wir überquerten eine unsichtbare Grenze, fast war mir schwindelig vor Leichtigkeit, und ich spürte Energie in meinen Beinen, als könnte ich zu einem Dunking ansetzen. Die jüngeren Mitglieder unserer Truppe stimmten ein Lied an, ein Standardstück bei Schulausflügen, und feuerten den Fahrer an, alle vor uns zu überholen. Was war das, was wir fühlten? Freiheit?
Die Strandinvasion
    Als die Adria zum ersten Mal in Sicht kam, wurde dies bejubelt wie ein Sieg. Selbst hinten im Bus gab es johlende Enthusiasten, die im Chor mit den Kindern sangen. Einer der Profis schrie »Prost!«, und der Fahrer drohte damit, die Fahrt zu unterbrechen. Er machte eine offizielle Durchsage, dass Trinken im Bus nicht gestattet sei.
    Wir fuhren im Schlingerkurs über die ausgedörrten Hügel, zwischen bröckelnden Felsen hindurch und entlang sonnengebleichter Nadelholzwäldchen und Obstgärten, bis sich die Hügel teilten und wir ins Blau stürzten. Wir machten in der ersten Stadt halt, am ersten Strand, neben einem langen Kai, der einen weißen Block ins Blau schnitt, und als sich die Türen öffneten, sprangen wir schreiend hinaus, jedenfalls die vordere Hälfte des Busses. Die Luft roch nach Kiefern,Seetang und Fischinnereien, und wir rannten über die Kiefernnadeln eines kleinen Parks und über den Kiesstrand, der unter unseren Füßen knirschte, wir lehnten uns gerade lange genug an gewundene Olivenbaumstämme, um unsere Schuhe abzustreifen, humpelten dann wie Greise über die heißen Steine, was bei den Einheimischen für Aufsehen sorgte. Sie reckten die Köpfe auf ihren Badetüchern, sammelten ihre Kinder ein und starrten diese kreischenden Irren an, die an ihnen vorbeirasten, sich die Klamotten vom Leib rissen, ihre käsigen Bäuche und Rücken entblößten und wie große Insekten auf den Kai kletterten.
    Ich war der Erste da oben in meiner altmodischen weißen Herrenunterhose, ich schrie vor Freude und starrte in den blauen Himmel, dann auf meine weißen Füße, die über die harte Oberfläche des weißen Betons patschten, bis dieser abrupt an einer horizontalen Linie endete und ich mich durch die Luft fliegend wiederfand, über dem Blau, unter dem Blau, im Blau und immer weiter hinauf, hinauf, hinauf. Bei Gott, ich schwöre, ich wäre als erster Mensch tatsächlich geflogen, wäre mir bei meinem Aufstieg nicht eingefallen, dass mein ganzes Geld zusammengerollt in einem Tabakbeutel in meiner Unterhose hing.
Verbrechen gegen Super Mario
    Auf dem Weg nach Zagreb, die nächste Nacht war gerade angebrochen, überlegten Omar und ich uns, dass Super Mario theoretisch nichts dagegen haben könnte, uns ein bisschen was von seinem Schnaps abzugeben. Praktisch vergewisserte sich Omar aber vorsichtshalber doch, dass sowohl er als auch sein Nebenmann schliefen. Er stellte ihnen Fragen und bewarf sie mit kleinen Kügelchen aus Zeitungspapier, und als klar war, dass sie von der Welt nichts mehr mitbekamen, ließich mich nach unten rutschen, griff unter meinem Sitz hindurch und zog Super Marios Tasche hervor. Darin befanden sich drei Zweiliterflaschen Schnaps (eine so gut wie leer, die anderen beiden voll), ein zerkrümelter Brotlaib, zwei Dosen humanitäres Corned Beef und eine Handvoll zerdrückter Tomaten in einer Tüte.
    Eigentlich wollten wir jeder nur ein paar große Schlucke nehmen und den Alkohol dann wieder zurückpacken, aber als ich sah, dass er in die gleichen Flaschen gefüllt war, die mir meine Mutter als Wasserflaschen mitgegeben hatte, tauschte ich sie einfach aus, wobei ich darauf achtete, sie ganz unten in die Tasche zu legen, damit er es nicht gleich merkte. Dann schob ich dem Mann die ganze Tasche wieder zwischen die Füße, und Omar und ich betranken uns, rissen bescheuerte Witze und waren die

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