Scherben
Einzigen, die darüber lachten. Zwischendurch holte ich mein Englischwörterbuch aus dem Rucksack und überprüfte den Zustand meines Geldes. Es war fast trocken.
Gemeinschaftliche Unternehmung
Wir verbrachten die Nacht in einem Wohnheim der Universität Zagreb, und am Morgen fuhren wir, teilweise verkatert und groggy, zur britischen Botschaft in der Vlaška-Straße, um Einreisegenehmigungen zu beantragen. Branka und der Präsident gifteten einander an und benahmen sich beide, als hätten sie das Sagen. Der Präsident war hochtrabend, redete zu laut, fuchtelte mit den Armen und plusterte sich auf. Er hatte den massigen Körper eines Bauern, an dem jeder Anzug und jede Krawatte grundsätzlich daneben wirken. Sein dicker Bauch, beschämend für jemanden, der aus einer belagerten Stadt kam, ließ sein Hemd vorne aus der Hose rutschen, und er war permanent damit beschäftigt, es wiederreinzustopfen, während er von einem zum anderen lief und erklärte, wie die Formulare auszufüllen seien, obwohl das die Mitarbeiter der Botschaft längst getan hatten. Branka war schlauer, machte sich Ramonas Englischkenntnisse zunutze und sprach hinter seinem Rücken direkt mit den Briten, ohne die Dolmetscher. Nach einer Weile war klar, dass Branka diese Runde für sich entschieden hatte, weil sich die Leute des Präsidenten immer wieder von uns mit Englisch helfen lassen mussten. Der Präsident kochte vor Wut.
»Nur wegen mir fahren wir überhaupt nach Schottland«, sagte er zu Super Mario, und zwar laut, damit Branka es hörte. Sie ignorierte ihn demonstrativ, allerdings nicht, ohne vorher ein bisschen zu spotten. Kurz dachte ich, er würde sich auf sie stürzen.
»Keiner von euch hätte einen Fuß über die bosnische Grenze gesetzt, wenn ich nicht gewesen wäre, und das solltet ihr nicht vergessen«, schrie er und zeigte mit dem Finger wahllos auf die Umstehenden.
»Sie benehmen sich unerhört«, sagte Branka lächelnd. »Das hier ist eine gemeinschaftliche Unternehmung. Es gibt keinen Grund zu schreien.«
»Von wegen gemeinschaftliche Unternehmung. Sie sind hier, weil ich es möglich gemacht habe. Sie reisen im Namen des Nationaltheaters, und ich bin dessen Präsident, verdammt noch mal, und ich verlange zu erfahren, worüber diese Briten reden.«
»Auf dem Papier mag es den Anschein haben, aber ich muss sie daran erinnern, dass Sie hier sind, weil das Theater des Jugendzentrums nach Schottland eingeladen wurde, nicht das Nationaltheater. Ich bin die Vorsitzende des Jugendzentrums, also können Sie mir danken, dass Sie hier sind.«
»Ich habe hier das Sagen!«
»Sie haben vor allem ein Alkoholproblem!«
»Was hast du gesagt, du blöde Kuh?«
»Sie sind ein Rüpel und ein Kind. Sie sollten sich schämen.«
Die blonde Sekretärin eilte erneut zu Hilfe und zog den Präsidenten von den anderen weg, während er weiter, schimpfte. Branka grinste vor Genugtuung.
»Keiner von beiden wüsste, wo Edinburgh überhaupt liegt, wäre Asmir nicht gewesen«, sagte ich zu Boro, und er lachte. »Komisch, dass er nicht da ist.«
»Ich weiß.«
Wir saßen im Wartezimmer der Botschaft und warteten, warteten, warteten, und warteten noch länger, bis uns der Konsul irgendwann einen nach dem anderen fragte, ob wir im Vereinigten Königreich politisches Asyl beantragen, eine Anstellung suchen oder staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen wollten, und ob wir die Absicht hätten, nach Ende des Festivals nach Bosnien zurückzukehren. Wie brave Papageien sagten wir nein , nein , nein , ja . Wir gaben unsere Pässe ab, dann schlenderten wir bis vier Uhr nachmittags durch die Stadt, und als wir wiederkamen, wurde uns mitgeteilt, dass unsere Einreise bewilligt worden sei.
Vom Postamt aus rief ich meine Eltern an. Sie waren froh, dass ich am Leben war. Vater fragte, ob ich das Geld noch hatte. Mutter sagte, ich solle während der Fahrt das Busfenster geschlossen halten, Schwitzen und Zugluft könne in Kombination miteinander zu Nervenentzündungen und sogar Gesichtslähmung führen. Dann rief ich Asja an, aber ihr verrückter Vater ging dran, ich geriet in Panik und legte auf. Ich stand da in der Telefonzelle und kam mir blöd vor. Was konnte er mir denn jetzt noch anhaben? Ich nahm erneut das Telefon, konnte mich nicht entschließen, hängte wieder ein.
Draußen wartete Ramona, und ich fragte sie, ob sie für mich anrufen und so tun könne, als sei sie eine Freundin vonAsja. Sie war einverstanden, und Sekunden später sprach ich mit Asja.
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