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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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einem naiv assoziierenden Zuhörer im halb leeren Vortragssaal einer Volkshochschule.
    Benny musste spüren, wie seine Tante Gretl, die direkt neben ihm saß, sich erschreckt einatmend an den Hals griff und zitternd ihre Knie zusammenpresste. Er machte eine Pause und blickte diesem Herrn Rohr prüfend ins Gesicht. Als ein Reserveoffizier, der mehrere Wehrdienstzeiten und einen richtigen Schießkrieg hinter sich hatte, der schon Gefangenenverhöre hatte führen müssen und mit einem EIT -Diplom (Emotional Intelligence Training) ausgestattet war, ermaß er wohl richtig, dass diese wächserne Kleiderpuppe die Frage gewiss ohne politisch provozierenden Hintersinn gestellt hatte.
    »In Ihrem konkreten Fall, Herr Rohr«, antwortete Benny also gelassen und mit dem Anflug eines Lächelns, »kann man wohl nicht von einer Frühform dieser Technologie sprechen: Das Gebiss dieses Herrn verfügte eindeutig nicht über die geringste Spur von Intelligenz, sonst hätte es seinen user doch viel früher zum Zubeißen veranlasst.«
    »Ich bedanke mich sehr für Ihre Antwort«, sagte Siegmund Rohr beinahe ehrfürchtig, beugte sich nachdenklich und verlegen über seine Wortmeldung wieder über seinen Teller und biss in ein Rippchen – aber ganz plötzlich hielt er inne. Noch waren ja alle wortlos, Sarah verwirrt, weil an diesem Festtisch der Name eines Unholds aus dem Höllenensemble gefallen war – da drang, in der peinlichen Stille, ein kurzes Knacken aus Siegmund Rohrs Mund. Die Kapsel? Hastig fuhr Rohr hinter der vorgehaltenen linken Hand mit dem rechten Zeigefinger in seinem Mund herum. Nur Bennys geübtes Ohr hatte das Geräusch sofort identifiziert.
    »Oh, shit! Siegmund – das war sicherlich Ihre Prothese!«, diagnostizierte er. Und als dieser stumm mit dem Kopf bejahte: »Wenn ich Ihnen da helfen kann …« Rohr nickte abermals, erhob sich langsam und entfernte sich, körperlich geknickt, aus dem Baumschatten. Das Missgeschick hatte seine stolz-starre Haltung gebrochen. Er wankte und stützte sich auf seinen Stock wie eben ein uralter, schwacher Mensch. Auch der Zahntechniker erhob sich.
    »Der alte Specht, der klopft schon schlecht« , trällerte Clementine ihrem Sigi nach.
    Sie war verärgert, der alte Freund war ihr mit seiner Prothese zuvorgekommen, hatte ihr den opportunen Zahntechniker weggeschnappt; sie selbst konnte den Israeliten nicht gleich auch noch um einen beruflichen Gefallen bitten. Vielleicht würde er dann von ihr ein Honorar fordern. Das weiß man doch!
    Gretls Blick folgte entsetzt den beiden, die auf die sonnige Wiese hinausgetreten waren. Ihr Neffe hatte Rohr sofort eingeholt und war ihm ein paar Schritte vorangegangen. Weiter draußen erst drehte er sich nach dem »Mauthausener Granit« um und zog etwas aus einer der aufgesetzten Seitentaschen seiner wadenlangen Khakihose. Mit angehaltenem Atem verfolgte sie, wie er die schlurfende Gestalt an sich herankommen ließ, und wie er, als sie einander auf Armnähe gegenüberstanden, das dicke Offiziersmesser, als ein solches erkannte sie den Gegenstand jetzt, aufklappte. Rohr, mit gesenktem Kopf, hatte seinerseits die Unterkieferprothese aus dem Mund gelöst und hielt sie dem Nanotechniker hin. Benny prüfte sie, zwickte mit einer kleinen Zange daran herum, Rohr musste probieren, ein Haken musste ein zweites Mal justiert werden und schließlich galt es, mehrmals fest zusammenzubeißen. Rohr nickte und zeigte sich hoch befriedigt.
    »Ich möchte Ihnen vielmals danken, Herr Krohn. Sie sind der perfekte Fachmann. Wie ich sehe, allzeit technisch kompetent und für jede Panne gerüstet.«
    Benny lachte: »Kleinigkeit bei uns! Probleme gibt es ständig und überall, und wir müssen stets auf alles gefasst sein. Das prägt unseren ganzen Lebensstil. Wir wollen uns kein zweites Mal überraschen lassen.« Er klappte das Taschenmesser unter Rohrs aufmerksamem Blick zusammen und steckte es wieder in die Khakihose zurück.
    Gretl bedurfte dringend der Nähe ihres Mannes. Sie bat Martin, den Platz mit ihr zu tauschen und suchte die lederne, aber warme Hand von Eli. Der bemerkte ihren Zustand – ja, das mit Himmler sei schon etwas stark gewesen, flüsterte er ihr zu, aber bei Siegmund Rohr sei das nichts weiter als die Einfalt und geistige Inkontinenz des Senilen. »Weißt du wohl selber«, raunte sie ihm, wieder etwas ruhiger geworden, ins Ohr.
    Katha zupfte die Oma an der Bluse. Sie wollte mit ihrer Geschichte fortfahren und bei ihrem Freund Docksider anknüpfen, dem

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