Scherbengericht: Roman (German Edition)
aber rief sie Clementines Stimme an den Tisch zurück: »Kommt’s endlich zurück, der Tisch ist schon sauber! Lasst mich doch nicht so allein hier sitzen, nur wegen diesem Dorfdeppen!« Sie folgten dem Ruf und Treugott, wieder auf Benny gestützt, holte vom Grill einige letzte Leckerbissen.
»Ich muss leider auf diesen Nicko zurückkommen«, meldete sich Siegmund Rohr zu Wort, als alle außer Rotraud wieder um den Tisch saßen, einige mit einer letzten, kleinen Lammfleischportion und ein wenig Kipflerkartoffelsalat aus der anderen Schüssel auf ihrem Teller. »Treugott, sag das auch Rotraud und eurem Personal weiter, ihr solltet besser aufpassen. Ich weiß, was dieses Subjekt da oben treibt. Es stolziert herum, und wenn es sich dazu gedrängt fühlt, entleert es sich einfach über eurem Bach. Wie das bei einem Wesen ausgehen kann, das den ganzen Tag außer wilden Beeren und Kräutern weiß der Teufel was frisst, brauchen wir uns nicht auszumalen. Und dann befeuchtet es noch das Schwämmchen am Stock und putzt sich … Und von diesem Bach leitet ihr euer Trinkwasser ab!«
»Brrr … Sigi, pfui! Was ist denn in dich gefahren, was erzählst du uns da für grausliche Einzelheiten!«, protestierte Clementine. »Wie gut, dass ich bis jetzt nur Wein getrunken habe … und dabei bleibe ich!«
Treugott hatte für Siegmunds Erzählung nur eine wortlose, wegwerfende Gebärde übrig.
»Xylospongium!«, erinnerte sich der Psychiater. »Mein lieber Siegmund, du kommst offenbar von der Antike und dem Knabenhintern nicht mehr los!«
An Katha, die sich mit Sarah in ein Gespräch auf Englisch vertieft hatte, waren Rohrs Anschuldigungen gegen ihr Rumpelstilzchen unbemerkt vorübergegangen. Sie erzählte gerade Einzelheiten von ihrem Besuch im Sanktuarium der Lady Di und der geheimen Irrenanstalt, die von den Gehörfolterern dort eingerichtet worden sei. Da in Sarahs eher amerikanisch geprägtem Vokabular ein harter, tief vom Gaumen-R des Iwrit eingefärbter Akzent vorherrschte, machte Katha sich ein Vergnügen daraus, ihrerseits nach Art der britischen Volksprinzessin zu parlieren – in jenem Tonfall aristokratischer Anpassung an die Massen und die Medien, den ihre Diana nach der Trennung von Prinz Charles entwickelt hatte.
Im Abklingen des Festmahls wollte offenbar niemand mehr mit weiteren Einzelheiten über Nickos Verhältnis zur Hygiene behelligt werden, weshalb der Zahntechnologe die Pause zu einem weiteren Exkurs nutzen und an vorherige Ausführungen anknüpfen konnte. Von der Hebrew University in Jerusalem aus habe sein Institut den Kontakt mit zwei nanotechnischen Forschungszentren – in Wien und Buenos Aires – hergestellt und sie für seine Idee gewonnen. Jedes Labor entwickle Sensoren, die zu verschiedenen Mikro-Nano-Systemen im nach ihm benannten »Krohn’s Dental Nano Tower« zusammengebaut würden. In dieser wissenschaftlichen Dreiecksbeziehung sei die »Nanotechnological Convergence towards Intelligent Dentures« – prägnant als NANODENT weltweit bereits patentiert – für medizinische und ernährungshygienische Aufgaben entstanden.
»Wir hören, wir betreten freudetrunken das nanobiotechnisch bestimmte Zeitalter – und am Ende werden wir gar noch unsterblich!«, warf der Onkel dazwischen. Doch der Neffe ließ sich jetzt nicht mehr unterbrechen. Die Begeisterung für seine genial ausgerüsteten Winzlinge hatte ihn so erregt, dass er sich mit den Fingern immer wieder ruckartig durch das dicht gelockte, widerspenstige Haar fuhr und hastig weitersprach:
»Wir Nano-Zahntechnologen werden nicht mehr wie Sklaven für die stumpfsinnigen Zahnärzte allein arbeiten«, verkündete er.
»Nur recht«, unterbrach ihn Clementine, »zeigen Sie es nur diesen aufgeblasenen Dentisten, die ständig auf uns einreden und sagen, was sie wollen, weil wir mit offenem Mund nicht widersprechen können und ihrem Sadismus ausgeliefert sind.«
»So ist es, Madam. Unser Angebot wird sich an die ganze Ärztekonferenz richten, an den Hautarzt, an den dietician, an den Kardiologen, an den Neurologen, and so forth. Jeder von ihnen braucht im Krohn’s Tower ein anderes Set von Sensoren. Wir haben mittlerweile einen Kommunikationsgrafiker beauftragen müssen, die passenden Symbole und Hinweise für unsere Bildschirme zu entwickeln. Denn wir betreten hier ja Neuland, auch visuell. Um es euch anschaulich zu machen: Nicht jede Substanz ist so leicht zu kennzeichnen wie die Gifte der höchsten Gefahrenstufe, bei denen wir uns auf den
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