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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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Menschenrechte getan als Kuba?« Und da offenkundig keiner seiner Zuhörer in zustimmenden Jubel ausbrechen wollte, obwohl der Redner seinen Kopf aufmerksam horchend von einer Seite zur anderen drehte, presste Treugott ein weiteres Zitat hervor: »Der neue Mensch des kubanischen Sozialismus weilt bereits unter uns. Der Prototyp, das Modell, war der Che Guevara. Aber alle unter uns, die ebenfalls internationale Missionen erfüllt haben, die in Angola und Äthiopien, in Nicaragua und Venezuela als Ärzte, Lehrer oder Befreiungskrieger im Einsatz waren, sind Vorstufen des neuen Menschen, sie sind aus demselben heroischen Stoff wie unser unsterblicher Che. Vaterland oder Tod, wir werden siegen!«
    Martin blickte besorgt zu Katha hinüber. Bei Treugotts Erwähnung des Guerilleros schienen ihre Gesichtszüge zu erschlaffen. Er sah ihren Blick wie nach innen gestülpt und abgründig werden, als sei sie gedanklich ganz weit zurückgegangen, um einen neuen Anlauf zu nehmen. Ihr Vater versuchte, sich innerlich zu straffen und bereit zu sein für diesen Sprung oder für eine böse Überraschung, die da nun kommen mochte. Aber Kathas Stimme hatte eher einen hellen, freudigen Klang.
    »Pa, du bist echt der neue Mensch!«, verkündete sie und zeigte, allen sichtbar, auf Dr. Martin Holberg. »Gabo, so musst du das sehen, schau ihn doch an, unseren alten Che! Er hat überall auf der Welt gegen Diskriminierung und für die Rechte der Minderheiten gekämpft. Selbst gegen die Hausmeinung seiner eigenen, bigotten Organisationen. Und gestern Abend ist er noch weiser geworden. Versteh doch endlich unseren Vater, Gabo! Mach doch endlich deinen Frieden mit ihm!«
    Aber Gabriel konzentrierte sich nur finster auf seinen Teller und stopfte heftig die letzten Fleischfetzen und den restlichen Kipflerkartoffelsalat in seinen Mund. Hastig stürzte er dazu ein volles Glas Rotwein hinunter. Martin winkte Katha beschwichtigend und begütigend zu, und zu seiner Erleichterung erwiderte sie sein verlegenes Lächeln. Aber nun war es Benny, dem das Thema wie gerufen kam. Es ginge ihm ja ebenfalls um den neuen Menschen: Jeder Träger seiner Intelligent Teeth werde ein individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes Programm im Dental Control Tower führen, verkündete er. Anfangs sollten die user zwar eine Gebrauchs- und Entschlüsselungsanweisung bei sich führen, um die Signale auf dem Bildschirm ihrer Armbanduhr richtig zu verstehen. Bald jedoch werde ihnen der Umgang mit dem Gerät zur Selbstverständlichkeit werden, wie angeboren – genau wie es erfahrungsgemäß in der Alltagspraxis jedem Prothesenträger ergehe.
    »Auch dir wird der Rollstuhl sehr bald zur zweiten Natur werden«, versicherte Benny dem Hausherrn.
    Elias Königsberg nutzte die Gelegenheit, um vom erkennbar unglücklichen Treugott abzulenken. »Benny, ich kann mit dir nicht so frank und frei übereinstimmen. Ein intelligentes Gebiss im Mund – und schon wird jede Mahlzeit des Neuen Menschen auch zu einer Gefahr für ihn, ganz besonders für die Alten unter diesen Neuen, denen doch als sinnlicher Genuss nur das Essen und Trinken übrig geblieben ist. Ja, Benny, deinen Spinatpudding verspeist du frohen Herzens ungestört, aber dieses außen fettig verkrustete, innen saftige Häppchen patagonischen Lammfleisches, von unserem Grillmeister zur Perfektion zubereitet und mit einem Löffelchen seines würzigen chimi-churribestrichen – das würde doch alle deine Sensoren verrückt spielen lassen und zu einem wilden Piepskonzert anstacheln. Auf dem Display würde, wie einst vor Siegmunds elektrisiertem Zaun, dauernd der Totenkopf aufleuchten – und schon wäre mein Appetit dahin.«
    »Heinrich Himmler« – nein, niemand hatte sich verhört, der Name war Siegmund tatsächlich aus dem Mund geglitten. Es schlug in Gretls Ohren kaum anders ein als ein freimütiges »Heil Hitler«. War der alte Freund Clementines nun doch ganz übergeschnappt? Hatte er zu viel von dem ungewohnten Wein und Fleisch genommen? Oder war jetzt der erwartete und befürchtete Augenblick des Erkennens eingetreten, wie in Ariel Dorfmanns Theaterstück? Indessen, Siegmund Rohr wiederholte unmissverständlich den Namen. »Man hat doch damals von Heinrich Himmler behauptet, er habe eine Kapsel mit Zyankali unter seinen Zähnen versteckt gehabt. Könnte man in seinem Fall vielleicht von einer Frühform des intelligenten Gebisses sprechen, Professor Krohn?« Die Frage kam höflich-zögernd und fast unterwürfig, wie von

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