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Scherbengericht: Roman (German Edition)

Scherbengericht: Roman (German Edition)

Titel: Scherbengericht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Germán Kratochwil
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Das ganze Panorama eines paradiesischen Zusammenseins war in fahles Licht getaucht, es war kein Sonnenlicht, kein Mondlicht, kein Licht von Kathas diesseitiger Welt. Die Grenzen der Elemente trennen ja auch die Quellen des Lichtes, dachte sie. Du blickst in eine Unterwelt hinein, und du siehst sie in dem Licht, das du über deine Kopfhörer empfängst. In dieser Welt verweilen … wie nach einer langen Reise endlich angekommen … das Treiben einfach mitansehen, mittauchen in der submarinen Serengeti … ein Teil davon werden, wenn umgekehrt woher man kommt alles unverständlich, ja unerträglich geworden ist. Katha war im wahrsten Sinn des Wortes in ihre Kopfhörer versunken.
    Indessen hatte sich Roberto Williams wieder mit gespreizten Beinen am Bug aufgerichtet und zu gestikulieren begonnen. Seine Lippen verzogen sich bald zu einem verzückten Lächeln, bald drangen, heftig grimassierend, ächzende Schreie hervor. Er bewegte die Arme unabhängig voneinander, gestikulierte mit den Händen, erst hervorwinkend und erheischend, dann befehlend und agitierend, schließlich besänftigend und fast einschläfernd, als hätte er ein Orchester mit Solisten und Chor vor sich. Katha beobachtete, wie er die Handflächen ekstatisch nach oben drehte, mit ihnen wippte und mit allen zehn Fingern grabbelte und wirbelte, als wollte er einzelne Stimmen aus dem dumpfen Grundrauschen unter dem Meer herauskitzeln.
    »Was soll das? Was wollen Sie von meinen Walen?«, fragte ihn Katha erregt, wieder aufgetaucht aus ihrem Wunderland.
    »Nichts, sie freuen sich, dass wir sie besuchen, sie feiern uns im Chor. Docksider fragt, wer die schöne junge Frau im Boot ist, das will auch Cassiopeia wissen, die mit ihm liiert ist.«
    »Dann können Sie ihnen einfach mitteilen, hier ist Lady Diana, Prinzessin von Wales. Sie hatte euch versprochen, dass sie wiederkehren würde, und nun ist sie gekommen. Lady Di hat euch nicht vergessen, sie wird euch beschützen, sie wird gegen die Harpunen kämpfen, sie hat euch lieb!«
    Roberto Williams hielt ein, nahm die Sonnenbrille ab und suchte fragend Dr. Holbergs Blick. Martin gab ihm ein zwinkerndes, beruhigendes Zeichen, doch Katha hatte es bemerkt. Es war dieses um nachsichtiges Verständnis für eine Verrückte bittende Blinzeln, das sie kannte, dieses »Sie wissen doch, wie es um sie steht«, dieses »Tun Sie ihr doch bitte den Gefallen …«. Als sich Roberto darauf wieder dem Wasser zuwandte und, in aufdringlich herausfordernder Weise weiter dirigierend, seine ächzenden und gutturalen Laute von sich gab, da war es ihr, als könnte sie aus dem subaquatischen Stimmengewirr einzelne Wörter, dann ganze Sätze verstehen, als hörte sie, immer deutlicher, spanische und deutsche Ausdrücke, die, durch den Kopfhörer elektronisch verstärkt, auf sie einschlugen: »Cata – loquita, puta«, verstand Katha sich unmissverständlich beschimpft. »Du Schlampe, du Hürchen, du Durchgeknallte, du Lesbe hast es mit einer Krankenschwester getrieben … Jetzt kriegst du aber eine Spritze in den Hintern … Wir haben’s ja gesehen, du hast wieder masturbiert … ch, ch, ch!« Da war aber kein Rhythmus drin, und der Vater blickte sie angstvoll und argwöhnisch an, er musste es ja auch gehört haben. Der miese Typ indessen hetzte weiterhin die Wale dazu auf, sie wüster zu beschimpfen. Dieser hinterhältige, scheinheilige walisische Tiervergewaltiger! Sie riss sich die Schwimmweste vom Leib, schrie » Violador!«, schlug auf Roberto ein, warf sich auf ihn; beide stürzten zu Boden, seine Sonnenbrille zerbrach. Er verlor die Kappe, und Kathas Nase stieß auf seine fettig weiße Glatze unter schütterem Flaum. Martin war wie gelähmt, aber Tito sprang auf, umklammerte die Tobende mit Armen dick wie Rettungsringe und zerrte sie von seinem Kapitän herunter. Katha strampelte und schrie: »Das ist echt gemein, hundsgemein! Ich liebe doch die Wale, und die Wale lieben mich …«
    Nach dem ersten Schreck sprach Martin flüsternd auf sie ein. »Es ist schon gut, Katha, du hast ja recht …« Das Boot schaukelte unter dem gleichmäßig darüberstreichenden Wind, Katha hing schlaff in Titos Armen. Und da, zum Greifen nah, stieg wedelnd eine riesige, gespaltene Schwanzflosse aus dem Meer, Docksiders Fluke, blinkend, schwarz wie auf dem Logo, das Kathas Brust zierte. Die Flosse fächerte ihr Luft und Wasserstaub zu und sank peitschend in die Wellen zurück – ein Salut, der alle besprühte, und eine Botschaft, die ihr ganz allein

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