Scherbenmond
dieses?« Sie deutete irritiert auf Die gescheiterte Hoffnung. »Aber man kann die Bilder doch gar nicht miteinander vergleichen. Oder interessierst du dich allgemein für die Romantik? Schauerromantik?«
Ich schnaubte. Ja, so ähnlich konnte man das wohl formulieren. Giannas Miene wurde immer skeptischer. Unbehaglich zog sie die Schultern hoch.
»Du kriegst Rückenschmerzen, wenn du so dastehst«, sagte ich. Ich hatte es ohnehin ruiniert, also konnte ich sie auch duzen. Schließlich duzte sie mich auch.
»Hab ich schon«, erwiderte sie knapp und machte einen Schritt rückwärts, als wolle sie sich in Sicherheit bringen. Argwöhnisch musterte sie mich. »Sag mal, kennen wir uns?«
»Nein, wir beide nicht, aber ... du kennst meinen Vater. Leopold Fürchtegott.« Instinktiv ging ich davon aus, dass er ihr seinen alten Namen genannt hatte. Er verwendete ihn für Fachartikel und Vorträge.
Sie dachte eine Weile nach, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich glaube nicht.«
»Doch, doch! Du hast ihn auf einem Kongress getroffen, es ging ums Schlafen, er war einer der Redner - ein wichtiger wahrscheinlich.«
Gianna stöhnte genervt auf.
»Ich bin fast jede Woche auf irgendeinem Kongress und berichte darüber, ich kann mir die Namen der Redner nicht alle merken. Was glaubst du, wie vielen Leuten ich tagtäglich begegne? Und das seit Jahren!« Sie hörte sich nicht so an, als fände sie es besonders toll, all diese Menschen zu treffen und wieder zu vergessen. Aber mir verlieh es neuen Mut. Wenn sie sich Papa nicht gemerkt hatte, stiegen die beiden wohl kaum zusammen in die Kiste.
»Egal«, sagte ich beinahe euphorisch und merkte, dass ich grinste. »Jetzt kennen wir uns ja.« Und ich werde dich meinem Bruder vorstellen. Falls mein Instinkt nur ansatzweise recht behielt, war Gianna mein Köder, um Paul von François loszueisen. Sie war genau richtig für Paul. Und vielleicht war sie trotz Papas Fehlein-
Schätzung auch die Richtige für Tillmann und mich. »Hättest du Lust, zu uns zum Abendessen zu kommen?«
»Wer ist >uns«, fragte Gianna reserviert, nachdem sie ein weiteres Mal nach den Senioren Ausschau gehalten hatte. Doch die waren beschäftigt.
»Mein Bruder, Tillmann und ich. Vor allem mein Bruder. Bitte, Gianna.«
»Du kennst meinen Namen?«
»Ähm. Ja. Gianna Vespucci.« Ich streckte ihr meine klamme Hand hin. »Ich bin Elisabeth Sturm. Ellie.«
Gianna ignorierte meine Hand. »Hattest du eben nicht gesagt, dein Vater heiße Fürchtegott?« Wieder trat sie einen Schritt zurück, doch ich machte sogleich einen nach vorne, damit ich nicht schreien musste, um mich mit ihr zu verständigen.
»Ja, ja, das stimmt«, beschwichtigte ich sie. »Ich hab den Nachnamen von meiner Mama. Sturm. Aber mein Bruder heißt Fürchtegott. Wie mein Vater früher. Und er hat echt schöne Augen. Stahlblau.«
Gianna schüttelte den Kopf und in ihren Ausdruck absoluter Verwirrtheit mischte sich leises Entsetzen.
»Verstehe ich das richtig: Du, eine vollkommen Fremde, willst mich zu dir nach Hause einladen, um mich mit deinem Bruder zu verkuppeln?«
Ich prustete und versuchte, meine ungestüm umherjagenden Gedanken einzufangen und zu ordnen.
»Nein. Es wäre nur ein schöner Nebeneffekt, weil ...« Weil mein Bruder glaubt, schwul zu sein? Blödsinn. »Eigentlich geht es mir um eine andere Sache. Ich brauche dich als Journalistin. Wir müssen dir etwas erzählen. Oder zeigen. Ich hoffe, zeigen. Falls das klappt bis dahin. Wir müssen das Loch noch bohren«, schloss ich zerstreut. Und ich musste dringend öfter unter Menschen. Ich hatte
vollkommen verlernt, Konversation zu betreiben. Falls ich es jemals gekonnt hatte.
»Und was ist das für eine Angelegenheit, über die ich berichten soll?«
»Das kann ich nicht sagen. Nicht jetzt. Sorry.« Ich hob entschuldigend die Arme. »Ich muss dich erst ein bisschen kennenlernen.«
»Meinst du etwa, ich habe Zeit und Lust, mich mit jedem Fuzzi, über den ich berichte, anzufreunden?«, zischte Gianna. »Eigentlich müsste ich längst wieder in der Redaktion sitzen und den Artikel zu diesem Tralala hier in die Tasten hauen, denn er soll morgen schon erscheinen und ...«
»Okay. Ist ja gut. Du hast viel zu tun. Verstehe ich. Geld ist kein Problem.« Ich zog ein Bündel Fünfzigeuroscheine aus meiner Hosentasche. »Reicht das für den Anfang?«
Giannas Falkenaugen wurden erst starr und dann sehr wütend.
»Und jetzt zahlst du auch noch dafür, dass ich deinen Bruder treffe? Mensch,
Weitere Kostenlose Bücher