Scherbenmond
blind gehorchen musste wie du jetzt. Mein Sensei wusste um meine Möglichkeiten und Grenzen und ich weiß um deine.«
Colin wartete, bis mein Widerstand ein wenig abgeflaut und ich bereit war, seinem Blick zu begegnen. Er war tief, ernst und bittend. Und gleichzeitig auf erdrückende Weise fordernd.
»Wenn es in den Kampf geht, Ellie, musst du mir bedingungslos vertrauen. Das ist das, was ich von dir erwarte und verlange.«
»Aber ich vertraue dir doch. Das habe ich dir letzten Sommer schon gesagt!«
»Du tust es, wenn du es zuvor selbst entschieden hast und es freiwillig geschieht. Aber fast nie, wenn ich es von dir verlange oder gar etwas von dir erwarte, was du nicht verstehst. Du musst mir vertrauen, auch wenn all deine Gedanken und Instinkte nach etwas anderem schreien. Sonst werden wir nicht überleben.«
»Ich weiß nicht, ob ich das kann.« Es war die Wahrheit und kein Starrsinn. Mein Vater hatte mir immer beigebracht, meinen Kopf zu benutzen. Bisher waren meine Intelligenz und mein ständiges Hinterfragen meine Stärke gewesen, manchmal sogar mein Rettungsanker. Es war mir in Fleisch und Blut übergegangen.
»Vorhin hast du mir doch auch vertraut«, sagte Colin und für einen Moment huschte ein zärtlicher Schimmer über seine verschlossenen Züge. Oh. Das meinte er also. Und er hatte tatsächlich etwas von mir gefordert. Bei mir zu bleiben.
»Es war nicht leicht. Am Anfang«, gab ich zu.
»Und dann bist du unter meinen Händen zerflossen.« Ich senkte errötend den Kopf. »Du kannst es also. Was Karate betrifft: Ellie, ich weiß, wann du an deine Grenzen kommst. Und ich weiß, wann ich nicht mehr weitergehen darf. Meinst du denn im Ernst, ich würde dich quälen, bis du die wenige Nahrung, die du zu dir nimmst, wieder auf den Sand spuckst? Das wäre sinnlose Schinderei. Ich habe eine sehr genaue Vorstellung davon, was ich dir zumuten kann und was nicht. Lerne im Training, mir zu vertrauen und mir zu gehorchen, und bewahre diese Tugend für den Kampf.«
»Okay«, murmelte ich ergeben. Ich hatte keine Ahnung, wovon er redete, doch seine Worte waren in ihrer Eindringlichkeit kaum zu überbieten. Mir lief ein Schauer über den Rücken. »Kannst du mir nicht verraten, warum ich dir so bedingungslos vertrauen und gehorchen muss? Was genau hast du denn vor?«
»Darüber kann ich nicht sprechen.«
»Aber ... «
»Wie war das mit dem Vertrauen? Vertraue mir auch darin. Des Weiteren musst du lernen, deine Gefühle und Gedanken zu verschließen. Vorher habt ihr nicht gewusst, dass François der Mahr ist. Jetzt aber ist die Verbindung da. Sein Wesen ist in euren Gedanken mit dem Mahr gekoppelt. Wenn du in seiner Gegenwart daran denkst, kann er euch auf die Schliche kommen und ein heilloses Blutbad anrichten. Du musst deinen Kopf leeren können. Grundlage für diese Fertigkeit sind Meditation und Askese.«
»Askese?« Ich schaute Colin an, als habe er mich aufgefordert, ein verdorbenes Stück Fleisch zu kosten.
Er nickte. »Keine Intimitäten mehr ab jetzt.«
Ich schwieg betroffen. Hatte ich das richtig verstanden? Keine Nähe mehr? Gar nichts? Nicht einmal ein Kuss? Ein Lächeln stahl sich in seine Kohleaugen, als er meine Gedanken las.
»Du erinnerst dich - es ist nur die Vollendung, nicht das, was uns verbindet.«
»Weißt du was, Colin?«, entgegnete ich aufgebracht. »Ich glaube, ich durchschaue, was du vorhast. Du willst erreichen, dass ich dich hasse und es mir nichts ausmacht, wenn du im Kampf draufgehst, oder? Das ist dein Ziel. Ich soll dich hassen. Und es ist dir heute schon fast gelungen.«
Colin lachte gedämpft auf. »Ich mag ja selbstlos sein, Ellie, aber so selbstlos bin ich nun auch wieder nicht. Du misstraust mir immer noch.«
Ich schnaufte genervt. Verdammt, er hatte recht. »Es wird mir schwerfallen zu verzichten«, gab ich unumwunden zu.
»Mir auch. Denn es liegt überhaupt nicht in meiner Natur. Und deshalb möchte ich dich bitten, dir bei deinem nächsten Zornesblitz nicht den Kimono vom Leib zu reißen. Ein weiteres Mal könnte ich mich nicht beherrschen.« Sein Lächeln war zart und bitter zugleich. »Führe mich nicht in Versuchung«, zitierte er.
»Sondern erlöse uns von dem Bösen«, vollendete ich ironisch, obwohl es genau das war, was ich wollte. Erlöse uns von dem Bösen. »Colin - darf ich dich etwas Persönliches fragen?«
»Bitte.«
»Du benutzt den Namen des Herrn auch nicht gerade selten und manchmal habe ich das Gefühl, es ist dir ernst dabei. Glaubst du
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