Scherbenmond
dass ich den Kopf zwischen die Schultern zog und eingeschüchtert auf meine
• Knie sank, als wolle ich mich vor ihm niederwerfen und es anbeten. Ich dachte gar nicht darüber nach, selbst etwas zu sagen. Wozu auch? Dieses Wesen hatte mich in seinen Bann gezogen, obwohl es sich vermutlich Tausende Kilometer weit weg befand.
So kauerte ich im dunklen Wohnzimmer, den Hörer am Ohr, und wartete. Wartete, bis sich der erste Laut aus seiner Kehle löste. Das Rauschen meines Bluts vermischte sich mit seiner Stimme, als wolle es sie vervollkommnen.
»Gefahr.«
Na, das war ja mal ein hilfreicher Hinweis. Gefahr? Ach, wirklich?
Doch meine Angst und meine Ehrfurcht verboten mir jedweden Kommentar. Nun schien sich ein Sturm in der Leitung zu erheben, sie toste und summte und ich verstand nur noch zwei Wörter, bis die Verbindung mit einem metallischen Schlag unterbrochen wurde: »Süden« und »Augen«.
Obwohl ich am ganzen Leib fror, war meine Hand schweißnass, sodass der Hörer durch meine Finger rutschte und scheppernd auf den Boden fiel. Ich konnte mich immer noch nicht rühren, doch mein Grauen bekam Besuch von dem wütenden Tier in meinem Bauch, das sich in seinem Schlaf gestört fühlte und fauchend gegen die Innenseite meines Magens sprang.
»Ich hab das alles so satt!«, schrie ich und hob das Telefon auf, um es mit all meiner Kraft gegen die Wand zu schmettern. Zufrieden sah ich zu, wie es in seine Einzelteile zersprang und die Batterien über den Boden rollten. Doch das war nicht genug. Noch einmal pfefferte ich es gegen die Tapete, dann ein drittes Mal, ein viertes Mal, begleitet von wüsten Flüchen und Verwünschungen, bis ich mich heiser geschrien hatte. »Gefahr, Augen, Süden - ganz klasse! Kann ich Gedanken lesen? Nein, kann ich nicht! Auf solche Botschaften scheiß ich, habt ihr das verstanden?«
Dann begriff ich auf einmal, was ich hier überhaupt tat. Das Telefon war hoffnungslos zerstört und die Tapete hatte ebenfalls gelitten. Mit unruhiger Hand schrieb ich ein paar entschuldigende Zeilen an Mama: »Spontanbesuch, warst nicht da, bin übers Telefonkabel gestolpert, sorry, alles Liebe, Ellie.«
Während das Tier in meinem Bauch sich knurrend in sein gewohntes Revier zwischen Herz und Zwerchfell zurückzog, übernahm die Angst wieder das Ruder - aber diesmal nicht mit heilloser Panik, sondern einem schwelenden, dämmrigen Gefühl permanenter Bedrohung. Mehrmals hob ich den Kopf und lauschte, weil ich glaubte, ein Geräusch gehört zu haben, doch weitaus schlimmer war die dumpfe Stimme in meinem Kopf, die anfing, mir einzubläuen, dass bald etwas Schreckliches geschehen würde.
Meine Bewegungen erschienen mir hektisch und überschnell und gleichzeitig kam ich mir wie ferngesteuert vor, manipuliert von einer Diktatur, die ich nicht kannte, als wäre ich nicht mehr Herrin über das, was ich tat. Ich funktionierte, doch es hatte längst etwas anderes, Gewaltvolleres von meinem Körper und meiner Seele Besitz ergriffen. Ich würde nur noch ihrem Ersterben zusehen dürfen, ohne etwas dagegen ausrichten zu können.
Selbst im Auto ließ dieses Bedrohungsgefühl nicht nach und ich hielt mehrmals an, um nach hinten zu schauen, weil ich fürchtete, dass sich jemand auf oder unter der Rückbank versteckt hatte, um mir bei der nächsten Gelegenheit eine Schlinge um den Hals zu legen. Die ganze Fahrt über wagte ich nicht, Rast zu machen, und ließ die Innenverriegelung eingerastet. Erst mit dem Anbruch der Morgendämmerung wurde ich etwas ruhiger, und sobald ich Pauls Wohnung erreicht hatte, wagte ich sogar, etwas zu essen und das Radio anzuschalten. Doch meine Vorsicht blieb - und auch diese an den Haaren herbeigezogene Idee, verfolgt zu werden, einer unsichtbaren Bedrohung ausgesetzt zu sein. Ich konnte mich dieses Eindrucks selbst dann nicht erwehren, wenn ich so rational, wie meine Logik es vermochte, über den Anruf und meine momentane Situation nachdachte.
Ja, ich war zum ersten Mal in meinem Leben ganz allein, ohne Eltern, ohne Bruder, ohne Freundinnen, ohne mein Lieblingsgefängnis Schule - nicht mitgerechnet meine einwöchige Ibizaverweigerung vergangenen Sommer. Aber damals hatte ich noch nichts von Tessas Heimsuchungen gewusst. Trotzdem - das Alleinsein reichte nicht aus, um mich derart aus dem Konzept zu bringen. Es konnte nicht der einzige Grund sein.
Und der Anrufer? Hatte er es ausgelöst? Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es ein Mahr gewesen. Doch vielleicht hatte er gar nicht mich
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