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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Anfangs dachte ich, er sei ein Kontrollfreak und belauere deshalb jede Regung, die ich machte, bis mir klar wurde, dass er sich auf irgendeine abstruse Weise verantwortlich für mich fühlte. Die Gegend, in der sich die Trainingshalle befand, war beileibe nicht vertrauenerweckend, sondern tatsächlich ein handfestes Problemquartier.
    Abends saß ich grübelnd vor dem leise geschalteten Fernseher -leise geschaltet, damit ich auf jedes verdächtige Geräusch lauschen konnte - in Pauls Lieblingssessel. Mich kümmerten weder der zögerliche Frühlingseinbruch noch Mamas Anrufe, die sich auf meiner Handymailbox anhäuften. Alles, was ich wollte, war, dass Paul und Tillmann zurückkehrten und sich mit ihnen meine bösen Vorahnungen zerstreuen würden - auch wenn das gleichzeitig bedeutete, dass der Mahr wieder in meiner Nähe war und wir den Kampf vorbereiten mussten.
    Die letzte Nacht allein verbrachte ich ausnahmsweise liegend und im Bett, da sich mein Kreuz vom vielen Sitzen und Trainieren anfühlte, als würde es demnächst in der Mitte entzweibrechen. Ich musste mich ausstrecken - und wie durch ein Wunder verordnete mir meine Übermüdung wenigstens einen oberflächlichen Dämmerschlaf. So oberflächlich, dass mich die laute Musik, die mit einem Mal durch die Wohnung dröhnte, nach nur wenigen Ruhestunden gnadenlos in die Realität zurückkatapultierte.
    Musik - warum Musik? Waren Tillmann und Paul etwa früher zurückgekommen? Ich stolperte unter Schmerzen in den Flur, doch er lag leer und dunkel vor mir. Keine Taschen und Koffer, keine Schlüssel auf der Ablage. Keine Stimmen. Nur dieser Song, den ich nicht kannte und der eindeutig aus dem Wohnzimmer schallte. Ein gleichmäßiger, harter Rhythmus, schreitend und schwerfällig, und dazu eine leidende, gepeinigte Stimme - gepeinigt wie ich, als ich mich ihr näherte, ihr und dem blauen, flackernden Licht des Fernsehers, das ihren gequälten Todesgesang begleitete.
    »Aber ... das kann doch nicht sein ...«, wisperte ich. Ich hatte den Fernseher ausgemacht, bevor ich zu Bett gegangen war. Ich wusste es ganz genau. Ich hatte die Fernbedienung genommen, auf Stand-by geschaltet und sie hochkant neben dem Flat positioniert. Wo sie immer noch ruhte. Niemand hatte sie berührt. Und doch lief der Fernseher - nicht Pro7, das ich zuletzt gesehen hatte, sondern ein ausländischer Musiksender.
    »Paul? Tillmann? Seid ihr da?«, rief ich mit bebender Stimme, ohne ernsthaft mit einer Antwort zu rechnen. Sie waren nicht da. Meine Augen verfingen sich wieder in dem Video, das ich in einer anderen Ausgangslage vielleicht sogar amüsant gefunden hätte, mich nun aber abgrundtief anekelte. Denn der überschminkte Mund des Sängers erinnerte mich an Tessa, an die widerlich feuchten Krümel, die an ihren Lippen geklebt hatten. Seine Haut war so teigig und bleich wie ihre ... und ... Sah ich das richtig? Überall Spinnweben? Auch über seinem Gesicht? Er lag im Bett und wurde verschlungen von einer - Spinne?
    Er blickte mich an, ebenso gewiss wie ich, dass etwas Schreckliches geschehen würde, dass Flucht sinnlos war, und blieb apathisch liegen, bis der Leib der Spinne sich über seinen schlaffen Körper stülpte. Ich taumelte auf den Fernseher zu, um die Fernbedienung zu nehmen und ihn auszuschalten, doch ehe ich den Knopf drücken konnte, flackerte das Bild hell auf und erlosch. Noch einmal knisterte das Display und ich spürte, wie die Fernbedienung in meiner Hand vibrierte. Dann kehrte Ruhe ein. Eine Ruhe, die es mir erlaubte, jeden einzelnen der Schritte zu hören, die über das Dach huschten, schnell und sicher und so laut, dass jede Einbildung unmöglich war. Es war die ganze Zeit jemand auf dem Dach gewesen, direkt oberhalb meines Kopfes, während ich in Unterwäsche vor dem laufenden Fernseher gestanden und nicht begriffen hatte, was hier überhaupt passierte.
    Wimmernd schaltete ich sämtliche Strahler und Lämpchen an, die ich in der Wohnung finden konnte, holte den schweren Vorschlaghammer aus Pauls Werkkammer, kauerte mich mit ihm in der Hand vor die Tür unter all die fremdartigen Gemälde und flehte die Sonne an, bald aufzugehen, um mich von meiner Panik zu befreien.

Rhythmusschwierigkeiten
    Als die Tür sich öffnete, kauerte ich immer noch vor ihrer Schwelle und begriff zu spät, was gerade passierte, sodass ich nicht rechtzeitig wegkriechen konnte und sie in mein Kreuz gestoßen wurde. Doch was bedeutete schon Schmerz - Tillmann und Paul waren wieder da! Aufseufzend zog

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