Scherbenmond
Tillmann tippte sich an die Stirn.
»Paul hat einen AV-Block zweiten Grades. Er muss nicht zwingend einen Herzschrittmacher tragen. Es würde seine Lebensqualität lediglich verbessern. Kann es ja auch, wenn François Geschichte ist. Aber noch ist er da. Also - wir müssen ihn davon abbringen. Aber wie?«
»Ellie, ich verstehe ja, was du meinst. Nur: Woher kommt der Herzfehler? Von François? Oder war er schon immer da? Wird es vielleicht schlimmer? Was ist, wenn es von einem auf den anderen Tag ein Block dritten Grades ist und Paul daran stirbt? Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass diese Reizleitungsstörung von François kommt...« Tillmann brach ab. Er wusste selbst nicht weiter.
»So langsam bist du zurück im Spiel, was?«, entgegnete ich sarkastisch. »Genau das ist es ja. Am Freitag findet der Kampf statt. Bis dahin müssen wir Paul irgendwie am Leben halten. Dann machen wir ihn glücklich. François greift an, Colin kommt dazu und ...« Ich machte eine entschiedene Handbewegung. »Eine knappe Woche. Entweder ein falsch programmierter Herzschrittmacher oder das Risiko, dass aus dem zweiten Grad ein dritter Grad wird. Was ist besser? Hm?«
»Es ist beides scheiße. Aber ich glaub, ich würde für das mit dem dritten Grad plädieren. Wir müssen ihn halt schonen. François ist bis Mittwoch aus den Füßen. Er will die Bilder nun auch auf Mallorca an den Mann bringen.«
»Hättest du das nicht gleich sagen können?« Noch einmal trat ich gegen die Bank. Ich hätte gerne Holz gehackt oder ein paar Schocktechniken von Lars ausprobiert. Mit Vorliebe an Tillmann.
»Du hast doch gar nicht mehr richtig zugehört«, erwiderte er gähnend. »Und wie willst du Paul jetzt dazu bringen, sich keinen Schrittmacher einpflanzen zu lassen? Er ist immerhin ein halber Mediziner.«
Ich atmete langsam aus, um meinen Herzschlag zu drosseln, denn sonst hatte das Krankenhaus nicht nur einen, sondern zwei neue Patienten. Grübelnd marschierte ich auf und ab. Tillmann saß in stoischer Ruhe auf der Bank und sah mir dabei zu.
»Okay, ich glaube, ich hab eine Lösung. Sie haben gesagt, dass sie erst weitere Untersuchungen machen, dann den Schrittmacher einbauen, dann soll Paul in die Reha. Korrekt?« Tillmann nickte. Also hatte ich den Arzt richtig verstanden.
»François wird kein Interesse daran haben, dass Paul einen Rehaaufenthalt macht. Aber der ist nun mal an den Eingriff gekoppelt. Einer von uns muss François Bescheid sagen und sich unauffällig gegen den Schrittmacher und die Reha aussprechen. Danach wird er für uns den Rest erledigen. Weiß er denn schon etwas?«
Tillmann schüttelte den Kopf. »Es sei denn, Paul hat ihn angerufen ... aber ich glaube, dafür hatte er noch keine Zeit. Dein Bruder ist erst seit ein paar Stunden hier. Und ganz ehrlich, Ellie - du solltest das tun. Du bist seine Schwester. Es ist nur logisch, dass du ihm
Bescheid sagst. Wenn ich es mache, wird er nur wieder eifersüchtig. Und vielleicht sogar misstrauisch.«
Ich reagierte nicht, denn ich hatte nichts einzuwenden. Ich sah die Sache genauso. Ich musste es tun. Jetzt galt es also, meine Gedanken zu verschließen. Das, woran es bei mir am meisten haperte. Am besten aber klappte es im Training - wenn ich vor Schmerzen so müde war, dass mein Hirn zu schwimmen schien. Außerdem hatte ich das Telefon immer als etwas Unpersönliches empfunden. Zumindest war es unpersönlicher, als mit jemandem zu sprechen, der direkt gegenübersaß und dem ich in die Augen sehen konnte. Der mir in die Augen sehen konnte. An den unbekannten Anrufer von neulich wollte ich jetzt mal nicht denken, der unterlag anderen Gesetzen. François hoffentlich nicht. Ich krempelte meinen linken Pulliärmel hoch und setzte mich neben Tillmann.
»Siehst du diesen Punkt hier?« Ich deutete auf die kaum sichtbare Kerbe zwischen Elle und Speiche kurz unterhalb des Gelenkes. »Leg deine Finger darauf, und wenn ich >jetzt< sage, drückst du so fest zu, wie du kannst. Aber erst dann, in Ordnung?«
Tillmann sah mich an wie damals, als ich mich im Auto mit Erde beschmiert und Blütenwasser getrunken hatte. So ähnlich fühlte ich mich jetzt auch. Doch diesmal fragte er nicht, was das alles sollte. Er nahm es hin, nicht weil er mir vertraute, sondern weil er sich sicher war, dass ich mich noch absurder benehmen würde, wenn er mir widersprach. Vorsichtig legte er die Finger auf meinen Arm.
»Gib mir das Handy. Wähl schon mal François’ Nummer.«
Ich wollte es hinter mich
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