Scherbenmond
weiteten sich.
Schnell sprach ich weiter. »Wenn Sie mir versprechen, das zu tun, und sich vorab nicht einmischen, verspreche ich Ihnen im Gegenzug, dass kein Bericht in der Hamburger Morgenpost über Sie und Ihre kruden Mahrtheorien erscheinen wird. Und dass ich Ihre Nachfolge übernehme. Ich werde eines Tages Ihre Patienten heilen lassen.«
Das saß. Und hörte sich sogar überzeugend an, obwohl ich nicht den geringsten Wunsch verspürte, dieses Versprechen innerhalb der nächsten Jahre in die Tat umzusetzen. Vielleicht sogar niemals. Aber es war das, was ihm Seelenfrieden gab. Dr. Sands Mund verzog sich -erst betroffen, dann verblüfft, dann anerkennend. Er begann zu grinsen. Glaubte er mir? Oder wusste er ganz genau, dass ich pokerte?
»Sie sind ein Teufelsweib, Elisabeth. Ich habe Sie unterschätzt.«
»Das sollte man niemals tun. Ist Marco noch hier? Ich würde ihm gerne Guten Tag sagen.«
»Wieder. Er ist wieder da.« Dr. Sand strich sich über seine Glatze. »Er hat es übertrieben mit seinen Versuchen, sich ins normale Leben zu integrieren. Zu viel Stress, dann sind die Sicherungen durchgebrannt. Sie können ihn trotzdem sehen. Aber Elisabeth ...«
»Ja?« Ich war schon dabei zu gehen.
»Halten Sie Abstand. Hier, meine ich.« Er deutete auf sein Herz.
»Mit Sicherheit«, sagte ich in tiefster Überzeugung. Das wenige, was ich von Gianna wusste, reichte mir doppelt und dreifach, um Marcos Charme nicht zu verfallen. Außerdem gehörte mein Herz Colin, auch wenn es das im Moment nicht zum Jubeln fand und sich bei jeder passenden Gelegenheit dagegen sträubte. Es reagierte mit Angst statt mit Sehnsucht und Zuneigung. Warum, verstand ich nicht. Trotzdem ging kein Risiko von Marco aus - das wusste ich.
Er sah etwas aufgedunsener aus als bei unserem letzten Zusammentreffen; wahrscheinlich eine Folge der Medikamente. Doch sein Tippen hatte nichts von seiner zerstörerischen Energie verloren. Was würde wohl passieren, wenn man ihm die Tastatur unter den Händen wegzog? Den Computer konfiszierte? Er brauchte ihn offenbar noch dringender als Gianna. Gut so, dachte ich zufrieden und sang im Geiste ein kurzes Loblied auf das Internet, als ich die Glastür öffnete und zu ihm trat.
Marco erkannte mich - ein mildes Aufflackern in seinen toten Augen, das zu schwach war, um das Leben zurückzuholen.
»Hey, wie geht s?«, fragte ich, wohl wissend, wie beknackt diese Frage war.
»Gut«, log er höflich. »Was machst du hier?«
Sein Deutsch überraschte mich. Es war beinahe akzentfrei. Warum nur hatte Gianna sich dann in Englisch mit ihm ausgetauscht? Ich legte ihm eine Kopie ihrer Visitenkarte auf den Schreibtisch. Er las ihren Name und stutzte.
»Sie denkt, du bist tot. Ich glaube, sie würde sich freuen, wenn du ihr mitteilst, dass du es nicht bist.«
Mit diesen Worten ließ ich ihn alleine - auf alles andere hatte ich keinen Einfluss mehr - und fuhr zurück nach Hause, wo ich Tillmann relaxend auf dem Sofa vorfand, vor sich einen Teller mit Pizzarändern, ein Bier und sein Handy. Im Fernsehen lief irgendein Mist und Tillmann machte den Eindruck, als hätte er noch nie etwas von Mahren gehört und führte ein völlig durchschnittliches, gefahrenloses Dasein. Weder mir noch dem zornigen Tier im Bauch gefiel das. Außerdem hätte er mir ruhig ebenfalls eine Pizza bestellen können.
»Übrigens: schönen Gruß von deinem Vater«, giftete ich und schob mich frontal vor den Fernseher, damit er nichts mehr sehen konnte.
»Du warst bei meinem Dad?« Tillmann schaute nicht einmal zu mir hoch, sondern nur auf das Handy, das vibrierend den Sofatisch entlangkroch. Wahrscheinlich seine Tussi. Ich schnappte es ihm vor der Nase weg und drückte auf Ablehnen.
»Willst du eigentlich gar nicht wissen, was hier passiert ist, während du auf dem Schiff deinem Hormonrausch erlegen bist?«
»Mann, Ellie, jetzt mach mal einen Punkt. Es läuft doch alles optimal!«
»Optimal?« Meine Stimme wurde kratzig vor Entrüstung. »Paul liegt mit einem Herzfehler in der Klinik und du findest das optimal?« Nun nahm ich die Fernbedienung und schaltete auf stumm. Das Gelaber in meinem Rücken machte mich nervös. Alles machte mich nervös. Sogar die Pizzareste. Und Tillmanns linker offener Sneaker. Der Krümel an seinem Mundwinkel. Konnte er sich den nicht endlich wegwischen?
»Natürlich ist das nicht optimal, aber im Krankenhaus ist Paul in Sicherheit, François ist auf Mallorca und ...«
»Ja. Wunderbar. Schon mal überlegt, warum?
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