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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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harmlose Einleitung für die Umschreibung der Tatsache, dass er mich vorhin mit einer fast freudigen Entschlossenheit in den Tod geschickt hatte. Denn er hatte ja nicht wissen können, dass Colin mich am Leben lassen würde.
    »Geh!«, hatte Tillmann mir zugerufen. Und dazu das plötzliche
    Entflammen seiner Augen ... Hatte er mich loswerden wollen? Bevor ich meine Grübeleien in Worte fassen konnte, griff Tillmann in seine Hosentasche und reichte mir einen zusammengefalteten Briefbogen.
    »Lies das. Es beantwortet nicht alles, erklärt aber wenigstens ein paar Dinge.«
    Erstaunt faltete ich das Papier auseinander und seufzte, als ich Colins geschwungene Lettern erkannte. Ein Brief von Colin ... an Tillmann?
    »Hallo, Tillmann,
    glaube ja nicht, dass es mir leichtfallen wird, diese Zeilen zu schreiben, aber sie müssen sein, wenn wir in den Kampf ziehen wollen. Jeder wird seinen Part übernehmen. Deiner wird sein, Elisabeth ein guter Freund zu sein - und vielleicht auch mehr als das.«
    Ich hielt die Luft an. Wollte ich wirklich weiterlesen? Ja, ich wollte.
    »Sie wird sich in den nächsten Tagen verändern und aller Wahrscheinlichkeit nach recht unausstehlich werden. Du wirst sie so manches Mal zum Mond schießen wollen. Ich weiß, wie sich das anfühlt -dieser Wunsch ist auch mir nicht fremd. Ellie ist immer dann am nervenaufreibendsten, wenn sie sich selbst nicht leiden kann. Und das wird eine ihrer Grundstimmungen werden. Selbstzerfleischung und Entfremdung. Beides ist notwendig - darauf musst Du vertrauen.
    Und auch sie muss vertrauen. Ellie ist kein Mensch, dem das leichtfällt. Sie denkt viel und gerne und überprüft, wo sie überprüfen kann. Alles und jeden. Weil sie darüber hinaus blitzgescheit ist, wird es ihr ein Kinderspiel sein, Ungereimtheiten aufzudecken. Damit meine ich vor allem Ungereimtheiten ihrer eigenen Seele. Sie wird wütend und zornig sein, vor Angst vergehen und mit Leidenschaft ihr Gift verspritzen. Versuche, es zu schätzen. Es könnte ein Geschenk für uns alle werden.
    Bleib an ihrer Seite. Das ist Deine Aufgabe, Deine hochheilige Verantwortung. Ich brauche Dich dafür.
    Elisabeths größte Schwierigkeit wird darin bestehen, ihren Kopf vor François zu verschließen. Solltest Du merken, dass es außer Kontrolle gerät, bitte ich Dich, sie mit allen Mitteln, die Dir zur Verfügung stehen und nicht gewalttätiger Natur sind, abzulenken.
    Ich knirsche mit den Zähnen, während ich dies schreibe, aber ich muss Dir dafür einige Dinge mit auf den Weg geben, die so intim wie unverzichtbar gleichermaßen sind. Ich denke, Du weißt, was ich >mit allen Mitteln< meine. Die Betörung ist eines davon. Ellie ist nicht leicht zu haben, aber sehr empfindsam. Ich fürchte (nein, ich hoffe es), dass sie Dein Angebot ablehnen wird.
    Aber sollte ihre Verzweiflung so groß werden, dass sie es annimmt, dann verhalte Dich wie ein Mann und nicht wie ein Knabe. Es dürfte Dir nicht schwerfallen; sie ist ein hübsches Ding mit einem sagenhaften Hinterteil und einer Haut, in die ich mich verbeißen könnte (und das nicht allein aufgrund meiner teuflischen Natur). Man kann mit ihr vieles richtig machen, aber leider noch viel mehr falsch. Zwinge sie zu nichts. Solltest Du es trotzdem tun, hänge ich Dich an Deinen Eiern auf. In der Arktis, wenn die Eisbären hungrig sind.«
    Mein Humor besiegte meine Verlegenheit und ich kicherte schadenfroh auf.
    »Die Eisbären, oder?«, brummte Tillmann. Ich grinste nur und las weiter, doch mein Gesicht war so heiß geworden, dass ich einen Moment lang nicht einen einzigen Buchstaben entziffern konnte.
    »Nutze das, was Du jetzt weißt, nicht aus. Setze es nur dann ein, wenn es keinen anderen Weg mehr zu geben scheint. Vielleicht genügt ein Kuss. Vielleicht nur Deine Nähe. Aber alles ist recht, wenn es Euch rettet und ihre Gedanken zu verschließen hilft.
    Bestärke sie in ihrem Vertrauen mir gegenüber, wann immer sich die Gelegenheit dazu bietet. Das ist der Schlüssel zu allem. Sie muss mir vertrauen, egal, was passiert. Wenn sie sich nicht mehr daran erinnert, dann tu Du es.
    Wir sehen uns, wenn es zum Kampf kommt.
    Ich danke Dir.
    Colin«
    Ich schwieg betreten und es dauerte circa fünfzig Kilometer und zwei blitzende Radarfallen, bis ich mich räusperte und jene Frage über meine Lippen schickte, die seit Colins Zeilen in meinem Kopf rumorten.
    »Was denkst du denn jetzt über mich?«
    »Dass du schwer verführbar bist«, antwortete Tillmann feixend, ohne den Blick

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