Scherbenmond
zur Tür, im atemlosen Bewusstsein, jeden Moment gebissen werden zu können, als im selben Augenblick ein zorniger Schrei aus dem Nachbarzimmer ertönte.
»Oh nein ...«, keuchte ich. »Nein ... nicht Paul ...« Ich hastete halb nackt durch den Flur und legte mir im Geiste einen Plan zurecht, mit dem ich Paul retten konnte - Bisswunde aussaugen, betroffenen Körperteil abbinden, Giftnotrufzentrale alarmieren, 110-, doch bevor ich sein Zimmer stürmte, gab es einen heftigen Schlag. Ein ohrenbetäubendes Krachen folgte, gekrönt von einem zufriedenen Grunzen. Und beides hörte sich nicht an, als würde Paul im Todeskrampf liegen. Nein, es hörte sich an, als ...
»Verdammt, was hast du getan?«, brüllte ich ihn an. Er stand mitten auf seinem Bett, die Arme triumphierend erhoben, in der einen Hand einen wuchtigen Aborigines-Art-Bildband, in der anderen den Schirm der Deckenlampe, der auf ihn hinabgestürzt war. Doch meine Aufmerksamkeit galt dem zusammengekrümmten Leib von Berta, die soeben zitternd auf Pauls Laken verendete.
»Nicht sterben, Berta, bitte nicht, Süße«, bettelte ich sie an, aber es war zu spät. Paul hatte ihren Körper zertrümmert und das Zucken ihrer Beine war nur eine letzte Reaktion ihrer Nerven. In diesem Spinnchen regte sich kein Leben mehr.
»Sorry, Ellie, das Vieh ist über mein Kopfkissen gekrabbelt...«
»Musstest du sie denn gleich umbringen?«, rief ich anklagend. »Du hättest sie ja wohl auch einfangen können ...« Ich hatte Berta nicht gemocht, doch nun standen Tränen in meinen Augen. Sie war mein wichtigstes Werkzeug gewesen und Paul hatte ihrem Dasein einfach ein Ende gesetzt. Gut, wenn er es nicht getan hätte, hätte sie womöglich seinem Dasein ein Ende gesetzt, aber hätte er seine schnelle Reaktion nicht weniger todbringend kanalisieren können?
Vorwurfsvoll schaute ich ihn an und er erwiderte meinen Blick mit absoluter Ratlosigkeit.
»Elisabeth, das war eine Spinne. Eine hässliche, widerliche Giftspinne ...«
»Ich hab sie gebraucht. Ich hab sie gebraucht, um ... ach, das verstehst du nicht.«
Kopfschüttelnd griff Paul nach Bertas Überresten und schmiss sie achtlos aus dem Fenster.
»Nein, das verstehe ich wirklich nicht.«
Ich seufzte schwer. »Mach`s gut, Berta«, murmelte ich. »Und danke für alles.« Der eisige Luftzug von draußen ließ mich erschauern. Paul warf mir seinen Bademantel zu und ich wickelte ihn mir umständlich um meine Schultern.
»Langsam wirst du mir ein bisschen unheimlich, Ellie. Du erinnerst mich ja fast schon an den Renfield aus Dracula ...«
»Also bitte«, protestierte ich. »Ich esse doch keine Kätzchen und rufe ständig: >Meister, Meister, ich fühle dich!<«
Pauls Mundwinkel zuckten kurz. »Nein, aber erst das mit der gefangenen Ratte und nun die Spinne? Du tust gerade so, als wäre sie dein liebstes Haustier gewesen. Entschuldige bitte, dass ich mein Leben gerettet habe.«
»Sie hätte vielleicht dein Leben gerettet«, flüsterte ich so leise, dass er es nicht hören konnte, und zog mich in mein Zimmer zurück.
Es wurde Zeit, dass ich handelte. Sobald Paul das Haus verließ -ich wusste, dass er zu einer Ausstellung nach Berlin musste, und hegte die berechtigte Hoffnung, dass François ihn spätestens um neun nach draußen scheuchte -, würde ich die Mauer zu Fall bringen.
Und wenn ich nur ein Quäntchen Glück hatte, fand ich den Schlüssel und in Papas Safe lag irgendetwas, das es mir ermöglichen würde, Paul zu überzeugen und ihn zu heilen.
Falls es denn noch Heilung für ihn gab.
Trümmerfrau
»Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt«, knurrte ich, griff nach dem Vorschlaghammer und schwang ihn drohend hin und her. Übermäßig Furcht einflößend wirkte ich dabei nicht. Das Gewicht des Hammers riss mich fast zu Boden. Mir war schleierhaft, wie ich es fertigbringen sollte, ihn über den Kopf zu heben.
Ich hatte den hohlen Stein gefunden und im selben Moment Papa verflucht, denn er steckte mitten in dieser vermaledeiten Mauer, und alle Versuche, ihn zu befreien, waren kläglich gescheitert. Gut, wenn ich es nicht schaffte, den Hammer über meinen Kopf zu heben, war es vielleicht sinnvoller, mich von oben herunterzustürzen und ihn dabei mit Schwung in die Mauer zu hauen? Nein, physikalisch ein Ding der Unmöglichkeit. Ich würde zu Boden plumpsen wie eine faule Frucht im Spätherbst.
Also musste die Schlagbohrmaschine dran glauben - mein allerletztes Ass im Heimwerkerärmel. Entschlossen tauschte ich den
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