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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Hammer gegen dieses nicht minder schwere Mordgerät aus, drückte seine Spitze in die Mauerfugen, schaltete es ein und wurde augenblicklich von Staubwolken eingenebelt. Doch nachdem ich die Fugen zerbröselt hatte und aussah, als hätte ich im Schlamm gebadet, musste ich genau ein einziges Mal den Hammer schwingen -das schaffte ich gerade so, wenn auch mit einem schmerzhaften Reißen in der rechten Schulter - und die Mauer begann zu bröckeln.
    Eine Stunde später war Pauls Küche nicht wiederzuerkennen. Der Staub hatte sämtliche Möbel und Elektrogeräte grau-pudrig überzogen und sich sogar an die Wände geschmiegt, auf dem Boden lagen kreuz und quer Backsteine und diverse Zerstörungsgerätschaften herum - doch mir stand der Sinn nicht nach Aufräumen und Putzen. Ich war fix und fertig. Mit letzter Kraft schleppte ich den hohlen Stein zum Tisch, pfriemelte die kleine Holzplatte heraus, die sein Innenleben schützte, und gelangte aufseufzend in den Besitz des Schlüssels.
    Nun hielt mich nichts mehr in Hamburg. Mamas Post war immer noch nicht angekommen. Im Westerwald herrschte - wie fast überall in Deutschland - Schneechaos und offenbar war die Post noch nicht über die Waldgrenzen hinausgelangt. Paul konnte den Brief zurücksenden, sobald er hier eintrudelte, und für mich gab es nur ein Ziel: Papas Safe. Ich bereute es, meine Terrarien und Aquarien statt des Safes in den Kofferraum geladen zu haben, denn sonst hätte ich ihn auf der Stelle öffnen können.
    Trotzdem wurde ich euphorisch. »Hab ich dich endlich!«, jauchzte ich und drückte dem unscheinbaren Schlüssel einen Kuss auf den Bart. Papas Plan war aufgegangen - ein Plan, der mir im Nachhinein mehr als riskant erschien. Denn woher hatte er wissen wollen, dass Paul in dieser Wohnung blieb? Angesichts Pauls Ablehnung Papa gegenüber wäre es gut möglich gewesen, dass mein Bruder irgendwann ausgezogen wäre und sich ein anderes, eigenes Zuhause gesucht hätte, an dem Papa nicht mitgewirkt hatte. Papa musste sich also sehr sicher gewesen sein, dass Paul hierblieb. Allerdings erinnerte ich mich auch daran, dass Papa vor Eifer gebrannt hatte, nachdem Paul diese Wohnung in Hamburg gefunden hatte. Sie sei etwas Außergewöhnliches, hatte er gesagt. Und Paul würde sie lieben. Ob er mit ihr etwas hatte gutmachen wollen? Paul schien die Wohnung tatsächlich zu lieben, obwohl sie in diesem Moment dank meiner Umbaumaßnahmen beträchtlich an Charme verloren hatte. Er hatte vor Kurzem noch auffällig schwärmerisch betont, hier nie wieder wegzuwollen.
    Ausnahmsweise fand ich sie jetzt ebenfalls schön und hüpfte vergnügt um den Schutt herum. Das schrille Läuten der Türklingel bereitete meinem Freudentanz ein jähes Ende. Etwa François? Nein, mit dem war Paul heute Morgen streitend nach Berlin aufgebrochen. Oder hatten sie etwas vergessen? Falls dies so war, standen mir unangenehme Szenen bevor.
    Ich betätigte seufzend die Sprechanlage. »Ja, bitte?«
    »Können Sie mal runterkommen, ich krieg nix mehr rein«, schallte es mir schlecht gelaunt entgegen.
    »Wie - Sie kriegen nichts mehr rein?«, fragte ich verwirrt.
    »In den Briefkasten. Nun kommen Sie doch mal runter oder ich nehm Ihre Post wieder mit.«
    Ich mochte wie Tillmann grundsätzlich keine Befehle, fügte mich aber und löste einiges Erstaunen aus, als ich mich dem armen Mann von der Post gänzlich staubüberpudert präsentierte. Der Briefkasten war zum Bersten voll. Paul musste ihn tagelang nicht geöffnet haben. Ich wusste zwar nicht, wo der Schlüssel steckte, nahm das aktuelle Päckchen Briefe jedoch entgegen und zog anschließend so viel Post aus dem Briefschlitz, wie ich zu fassen bekam. Und siehe da - auch Mamas Brief war dabei.
    Bevor ich ihn öffnete, sprang ich unter die Dusche und verwandelte mich wieder in einen normalen Menschen. Für die Küche musste Paul ein Putzkommando bestellen. Dafür blieb keine Zeit mehr. Wenn ich jetzt losfuhr, würde ich heute Abend im Westerwald ankommen. Und ich musste mich sputen, denn Paul hatte den Volvo in einer angemieteten Garage außerhalb der Speicherstadt untergestellt. Wegen Ebbe und Flut und ständigen Hochwassergefahren war der Alte Wandrahm kein guter Ort für Tiefgaragen und
    Paul behagte es schon nicht, seinen Porsche auf offener Straße parken zu müssen, aber den fuhr er nun mal täglich.
    Eine Viertelstunde später war ich reisefertig. Ich machte mir noch einen Kaffee, und während die Maschine in Schutt und Asche geschäftig vor sich hin

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