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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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begegnet bist.«
    »Ach, und Paul ist gar nicht verändert, was? Hast du ihn dir mal angeschaut?«, versuchte ich sie abzulenken.
    Mama ließ sich gar nicht erst darauf ein. »Ich habe Paul seit etlichen Jahren nicht mehr gesehen. Dich aber habe ich vor drei Wochen das letzte Mal gesehen. Also, du bist Colin begegnet...«
    »Ich will nicht darüber sprechen«, sagte ich barsch.
    »Hat er dir etwas angetan?«
    »Nein, das hat er nicht!«, rief ich mit einer Heftigkeit, die mich selbst überraschte. »Falls überhaupt, habe ich mir etwas angetan. Und wie bereits gesagt: Ich will nicht darüber sprechen.«
    »Hättest du dich Papa anvertraut, wenn er hier wäre?« Obwohl die starre Kälte in mir wieder zunahm, entging mir die unterschwellige Angst in Mamas Stimme nicht. Sie fürchtete, mir nicht mehr zu genügen. Dabei war das Gegenteil der Fall. Sie war mir zu viel. Ihre bloße Gegenwart war zu viel.
    »Nein«, antwortete ich müde. »Ich würde mit Papa auch nicht darüber sprechen.«
    Das plötzliche Schrillen des Telefons war wie eine Erlösung für mich. Ich nahm sofort ab. Herr Schütz war am Apparat. Aber er wollte nicht mit Mama reden, sondern mit mir.
    »Ich hatte eine lange Diskussion mit meiner Exfrau.« Die Art und Weise, wie er »Exfrau« betonte, verriet mir, dass diese Diskussion nicht sehr erquicklich gewesen war. »Tillmann und ich konnten uns durchsetzen. Bis zu den Sommerferien hat er Zeit, sich bei deinem Bruder in der Galerie zu bewähren und sich Gedanken zu machen, was er mit seinem Leben anfangen möchte. Danach sehen wir weiter.«
    »Danke, vielen Dank«, stammelte ich, um mich sofort zu verbessern. »Ich meine natürlich, Tillmann wird Ihnen sicher dankbar sein und wir kümmern uns gerne um ihn.«
    »Er ist kein einfacher Charakter, Elisabeth«, sagte Herr Schütz warnend. Doch damit erzählte er mir nichts Neues.
    »Ich weiß«, erwiderte ich ruhig. »Wenn er sich nicht benimmt, schicke ich ihn zurück. Mir wäre es übrigens lieb, wenn Sie die Tiere wieder übernehmen könnten. Den Albinomolch und so.« Ich wollte sie loswerden, alle zusammen. Ich gruselte mich vor ihnen, wie früher, und einen Nutzen brachten sie mir auch nicht. Herr Schütz atmete schwer durch. War das ein Ja?
    »Von mir aus. Ihr könnt Tillmann abholen, wann immer ihr reisefertig seid. Bis dahin hat er Hausarrest. Viel Glück bei deiner Prüfung und, ach ja - du solltest vielleicht wissen, was es mit den Burenkriegen auf sich hat.«
    Aha. Die Burenkriege. Doch die nächste halbe Stunde führte ich erst einmal meine eigene kleine Schlacht und versuchte, Paul von meinem Vorhaben zu überzeugen. Nachdem ich auf ganzer Linie gescheitert war, musste ich erneut zu einer Lüge greifen. Und diese Lüge war mein bestes Argument: meine angebliche Therapie bei Dr. Sand. Paul hatte nach seinem Dorfrundgang rasch begriffen, dass es hier weniger als nichts gab und vermutlich auch das medizinische Fachpersonal dünn gesät war. Mich in Papas alter Klinik unterzubringen war selbst in seinen Augen indiskutabel.
    Dass ich Tillmann mitnehmen wollte, entlockte ihm zwar noch einmal einigen Protest und ich musste einwilligen, ihn in »meinem Zimmer« aufzunehmen, wie Pauls Palast der gesammelten Scheußlichkeiten neuerdings betitelt wurde. Doch nachdem ich ihm klargemacht hatte, dass Tillmann ihm mit den Bildern helfen würde, willigte Paul widerstrebend ein, obwohl ich mich fragte, was Paul überhaupt noch zu tun haben würde, wenn Tillmann ihm zur Hand ging.
    Paul stellte nur eine Bedingung: »Hauptsache, dieser gruselige Typ taucht nicht bei uns auf.«
    Nein, das würde er wohl nicht. Der gruselige Typ - womit zweifellos Colin gemeint war - hatte sich seit unserem Disput auf dem Feldweg nicht mehr blicken lassen. Ich fragte mich, womit ich seine Abweisung verdient hatte - steckte dahinter etwa immer noch die Befürchtung, wir könnten Tessa auf seine Spur bringen? Ich hoffte, dass das der Grund war, doch irgendetwas in mir wusste mit erdrückender Unfehlbarkeit, dass meine Hoffnung vergebens bleiben würde.
    Ich zwang mich, beim Abendessen - Kartoffelauflauf mit
    Schinken, Pauls Lieblingsessen - zwei Portionen zu vertilgen, obwohl ich nichts schmeckte, lernte ein bisschen (Burenkriege!) und tat dann etwas, was ich seit Wochen nicht mehr gewagt hatte. Nein, seit Monaten. Vielleicht würde es ihn anlocken, eine Verbindung zwischen uns herstellen. Vielleicht.
    Ich kuschelte mich angezogen ins Bett, drückte mir die Kopfhörer in die Ohren und

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