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Scherbenmond

Titel: Scherbenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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Wassergrabens und sah sich zu mir um. Komm mit, bedeuteten mir seine Blicke. Folge mir.
    Ich stieg aus dem Wagen. Der Wald roch nach Rauch, ein süßer, würziger Geruch - kein Salbei, keine glühenden Steine ... Es war etwas anderes. In federnden Sprüngen setzte Tillmann über die Wasserstraßen. Der süße Geruch zog mich magisch an. Ich beschloss, es Tillmann gleichzutun, und nahm gleich zwei Gräben auf einmal. Ich war beinahe schwerelos. Das Springen kostete mich keinerlei Mühe.
    Tillmann verschwand hinter dem Haus. Ich pirschte ihm nach und der Duft wurde intensiver. Je näher ich ihm kam, desto geschmeidiger und weicher wurden meine Arme und Beine, aber auch meine Gedanken wurden weich ... so haltlos.
    Dann sah ich Colin. Er stand mit dem Rücken zu uns neben dem Brennholzstapel, vor sich einen riesigen Barbecue-Grill. Fünf feiste Wildschweinköpfe brutzelten darauf vor sich hin, eingewickelt in Tessas rotes Haar, aus dessen schmutzigen Strähnen winzige Spinnen in die Glut fielen und zischend verbrannten. Der Gestank des verkohlten Haars brachte mich zum Würgen. Ich konnte nicht mehr einatmen ...
    Keuchend fuhr ich hoch und nahm im gleichen Moment das Aufflackern einer Feuerzeugflamme wahr.
    »Es brennt!«, rief ich schwach, um sofort von einem erstickenden Hustenreiz geschüttelt zu werden.
    »Tut es nicht«, schwebte Tillmanns tiefe Stimme durch die Dunkelheit. Sie klang müde und seine Worte lösten sich nur unwillig von seiner Zunge. Nein. Keine Wildschweinköpfe und kein brennendes Hexenhaar. Ich kannte diesen Geruch sehr gut, und jetzt, wo ich wach war, konnte ich ihn sofort einordnen. Es war Haschisch.
    »Also doch«, sagte ich resigniert und knipste das Licht an. Tillmann ruhte auf der Seite in seinem Bett, vor sich einen mustergültig gedrehten Joint und einen Aschenbecher. Er nahm einen tiefen Zug, hustete kurz und drückte die angefangene Tüte sorgfältig aus. Ich hatte dieses klebrige Grasaroma schon immer widerlich gefunden und daran hatte sich nichts geändert.
    Tillmann reagierte nicht. Er stellte den Aschenbecher hinter sich auf den Schreibtisch und legte sich zurück aufs Bett. Ich beobachtete zornig, wie seine Lider schwer wurden und er blinzeln musste, um sie offen zu halten.
    »Ist dir eigentlich klar, warum du hier bist?«, herrschte ich ihn an. »Das ist deine Chance, die dein Vater dir erkämpft hat, und du vermasselst sie in der dritten Nacht! Oder hast du vorher auch schon gekifft, während ich geschlafen hab?«
    Tillmann antwortete nicht. Also ja. Deshalb hatte das Fenster morgens sperrangelweit offen gestanden. Damit die dumme Ellie nix merkt.
    »Hör mal, so geht das nicht. Dein Vater hat mich gefragt, ob du Drogen nimmst, und ich hab gesagt: Nein. Und jetzt? Ich hab dir vertraut, mal ganz abgesehen davon, dass dein Vater mein Lehrer ist ...«
    »War, Ellie. Er war dein Lehrer. Du hast dein Einserabi in der Tasche. Freu dich.«
    »Ich dulde das nicht, Tillmann. Wenn du weiterkiffst, kannst du heimfahren. Oder nimmst du auch noch andere Sachen? Kokain? Würde bestimmt gut zu dir passen.«
    »Mann, Ellie, hast du etwa nie gekifft? Mach kein Drama draus.«
    »Nein, habe ich nicht.«
    »Aber sicher schon getrunken und geraucht...«
    »Ich hab bisher keinen vernünftigen Grund dafür gesehen, mein Krebsrisiko wissentlich in die Höhe zu treiben. Nein. Und selbst wenn es gesund wäre: Zigaretten stinken und verfärben die Zähne.«
    »Warum gehst du eigentlich nicht ins Kloster und betest ein bisschen, Ellie?«, blaffte Tillmann mich höhnisch an.
    »Kannst du bitte deinen Ton dämpfen?«, bat ich ihn zischelnd. »Mein Bruder schläft nebenan, er ist bestimmt müde, ihr seid ja wieder elend spät heimgekommen ...« Oh weh. Ich hörte mich schon an wie eine vernachlässigte Ehefrau.
    »Das liegt daran, dass er immer erst am frühen Nachmittag anfängt zu arbeiten. Darf ich jetzt schlafen?«
    Ohne zu antworten, schälte ich mich aus dem Bett, öffnete das Fenster und griff nach dem Haschischpäckchen, das auf dem Schreibtisch lag, um es in das Fleet zu schmeißen. Doch Tillmann war schneller. Ehe ich meinen Arm heben konnte, hatte er mich zu Boden geworfen und mir das Briefchen aus der Hand gerissen.
    »Das tust du nicht, Ellie ...« Seine Zähne blitzten im Halbdunkel auf und er machte keine Anstalten, mich loszulassen. »Ich brauche das Zeug.«
    »Na herzlichen Glückwunsch ...«
    »Nein, nicht so, wie du jetzt denkst. Ich bin nicht süchtig. Mir geht es nicht um den Rausch. Ich

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