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Scherbenparadies

Scherbenparadies

Titel: Scherbenparadies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Loehnig
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die Sonne strahlte. Doch die Luft roch nach Winter. Das Thermometer vor der Apotheke zeigte fünf Grad an. Sandra fror in ihrer dünnen Jacke und ging unwillkürlich schneller, damit ihr warm wurde. Weiße Fahnen zogen aus Vanessas Mund, während sie von Ayshe erzählte und von der Schule und dann nach Nils fragte. »Küsst ihr euch?«
    Sandra lachte. »Na klar. Er ist mein Freund.« Sie konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen, bei ihm zu sein. Mit einem Mal war ihr bewusst, dass sie glücklich war, so glücklich, wie sie es sich vor ein paar Tagen nie, nie, nie hatte vorstellen können.
    Als sie vor Nils’ Haus stand und die Klingel drückte, legte sich plötzlich ein Schatten auf diese Sonneninsel von Glück. Wieder hatte sie das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden. Ich weiß, was du tust. Bitch! Sandra sah sich um. Auf dem Parkplatz standen nur Autos. Bei den Mülltonnen bewegte sich etwas. Eine ältere Frau stopfte einen Beutel in den Container. Aus der Tiefgarage fuhr ein Auto, auf dem Spielplatz etwas weiter hinten tummelten sich ein paar Kinder. Eine Mutter saß am Rand auf einer Bank. Ein Motorradfahrer in schwarzer Lederkluft hatte am Straßenrand gehalten, den Helm abgezogen und telefonierte mit dem Rücken zu Sandra. Sie schüttelte den Kopf. Vermutlich bildete sie sich das gerade nur ein. Ich weiß, was du tust. Ziemlich sicher war dieser blöde Spruch nur ein Schuss ins Blaue gewesen, ein Versuch, sie zu verunsichern, ihr Angst zu machen.
    Sie klingelte, ein paar Sekunden später ertönte der Summer. Im Lift fuhren sie nach oben. Nils stand in der geöffneten Wohnungstür, kam auf sie zu und blickte kurz nach rechts und links, bevor er sie in die Arme nahm und ihr einen Kuss gab. »Hallo, mein Engel.«
    Als sein Geruch sie umfing, fühlte sie sich plötzlich zu Hause. Hier gehörte sie hin. Zu ihm. Er war ihre Heimat. Dieses Gefühl war so überwältigend, dass Sandra für einen Moment total benommen war.
    »Hee. Ich bin auch noch da.« Vanessa zog an ihrem Ärmel.
    Sandra löste sich von Nils. »Wie könnte ich dich vergessen, Spatz. Das ist meine kleine Schwester Vanessa. Und das ist Nils«, stellte sie die beiden einander vor. »Ich habe ihr versprochen, sie mit auf den Weihnachtsmarkt zu nehmen.« Ist doch okay?, fragte ihr Blick.
    »Und ganz viel Zuckerwatte hast du auch versprochen.«
    Na klar, sagte seiner.
    »Aber sicher. Zuckerwatte muss sein.« Nils ging vor Vanessa in die Hocke. »Auch wenn die mich immer an Spinnweben erinnert. Eklige, klebrige Spinnweben. Findest du nicht?«
    Vanessa verzog den Mund und schüttelte sich. »Aber Spinnweben sind doch nicht rosa. Und nicht süß«, trumpfte sie schließlich auf.
    »Hast du schon mal welche gegessen?«
    »Nein!«, kreischte Vanessa. »Iiii, das ist ja voll eklig.«
    Lachend fuhren sie mit Nils’ Auto zum Weißenburger Platz und hatten Glück. Auf Anhieb fanden sie einen Parkplatz. Als Erstes bekam Vanessa eine rosa Wolke Zuckerwatte, mit der sie einige Zeit beschäftigt war. Überall duftete es nach gebrannten Mandeln, nach Lebkuchen und Glühwein, nach Bratwurst und Sauerkraut. Menschen drängten sich an den Ständen mit Christbaumschmuck, Weihnachtsdekorationen und Krippenfiguren, Schnitzereien, Filzpantoffeln, Strickwaren, aber auch jeder Menge Kitsch. Nils kaufte zwei Keramikbecher für den Morgenkaffee. »Einer für dich, einer für mich«, sagte er und gab Sandra einen Kuss. Sie tranken heißen Tee und aßen dazu Zimtwaffeln. Ein Mann in schwarzer Lederkluft kreuzte ihren Weg und einen Moment dachte Sandra, es wäre derselbe, der vor Stunden am Straßenrand telefoniert hatte.
    Ehe sie sich versahen, wurde es dämmrig. Ein Bläserquartett spielte Weihnachtslieder und dann war es Zeit zu gehen.
    Während der Fahrt schlug Nils vor, Vanessa heimzubringen und dann zu ihm zu fahren. Sandra konnte ihre kleine Schwester nicht eine ganze Nacht allein lassen. »Das geht nicht. Meine Mutter übernachtet bei ihrem Freund. Komm doch mit zu mir.« Sie fühlte sich unwohl. Es war höchste Zeit, Nils reinen Wein einzuschenken, was ihre Mutter betraf.
    Er sah zu ihr herüber und grinste frech. »Langsam glaube ich, es gibt sie gar nicht. Sie ist ein Phantom. Oder?«
    Sandra schluckte. »So ähnlich.«
    Das Lächeln verschwand aus seinem Gesicht. Sein Blick wurde ganz ernst. Er blickte in den Rückspiegel und wieder zu Sandra. Wortlos hatte er verstanden. Das war ein Thema, das man besser nicht in Vanessas Gegenwart besprach. Ihr Herz wurde ganz weit.

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