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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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darin, im Wohnzimmer zu Essen. Mich kann jetzt wenig erschüttern. Ingrid hat sich die Tränen mit einem Stofftaschentuch verstohlen weggewischt, als könnte mir so etwas verborgen bleiben, und kommt in eine aufgeregte, geradezu fröhliche Stimmung. Sie hantiert ungeschickt mit den Tassen, die klirrende Töne von sich geben, lächelt mich ständig an mit Harrys Lächeln, und es kommt mir sogar vor, als würde sie eine Melodie summen.
    Es duftet nach Kaffee.
    »Hans, Hans«, ruft Ingrid lauter, als es sein müsste. »Schaust du mal nach, ob wir Kuchen in der Kühltruhe haben? Den mit den Streuseln? Oder den Quarkkuchen?«
    »Bitte keine Umstände«, murmle ich, aber sie hört es nicht. Und sie braucht es auch nicht zu hören.
    »Zucker, Sahne«, sagt sie und stellt die Zuckerdose und das Sahnekännchen auf den Tisch. Genau vor mich, als würde ich hier allein essen. »Wie geht es deinen kleinen Geschwistern, Kindchen? Sind sie gesund?«
    »Anton ist nie gesund«, sage ich und bereue es sofort:Ingrids Gesicht verdüstert sich. Ihre Frage war keine Floskel. Ihre Finsternis hat sich durch meinen Besuch kurz gelichtet, und es macht ihr ernsthaft etwas aus, dass ein Kind nicht ganz gesund ist. Wenn jemand leidet, leidet Ingrid mit, sie kann nie die Tagesschau gucken, ohne zu weinen.
    »Nichts Schlimmes«, sage ich. »Die Nerven halt.«
    »Die Nerven«, wiederholt sie. »Die Nerven sind das Schlimmste, mein Kind.«
    Ich widerspreche nicht. Nerven sind kein Thema für mich. Mir fällt ein russisches Kindergedicht ein. »Meine Nerven sind aus Stahl, nee, ich hab eigentlich gar keine.« Das ist über mich. Ich habe keine.
    Ich überlege, ob ich Ingrid sagen soll, dass ich Vadim umbringen will. Vielleicht macht sie das ebenso glücklich wie mich oder Anton.
    Hans kommt durch die Tür.
    Er grüßt mich freundlich, aber matt. Hält meine Hand lange in seiner. Ich bin dafür extra von meinem Stuhl aufgestanden, und das hat ihn offenbar überrascht. Er steht ein bisschen wackelig da, obwohl er noch gar nicht so alt ist. Noch keine sechzig, glaube ich. Er ist ganz dürr geworden, die Haut hängt in schlaffen Falten in seinem Gesicht.
    Er bemüht sich um ein Lächeln, und das Ergebnis seiner Mühen ist eine schreckliche Grimasse. Es tut mir weh beim Hinschauen. Ich würde ihm gern sagen, dass er nicht grinsen muss, weiß aber nicht, wie.
    Wir trinken Kaffee zum Streuselkuchen, den Ingrid in der Mikrowelle aufgetaut hat. Die Erste Viertelstunde spricht Ingrid ununterbrochen. Es ist einbisschen wirr – Geranien, Nachbarn, Wasserleitung, kaputter Staubsauger. Ich nicke zu allem. Danach verstummt sie. Wir sitzen schweigend da, die Uhr tickt, und es kommt mir ganz natürlich vor.
    Hans hat einen abwesenden Gesichtsausdruck, Ingrid rührt im Kaffee, und ich betrachte die Fotos an den Wänden. Ich kenne sie inzwischen ziemlich gut. Alles Harry, fast alles. Harry als Junge mit glattem blondem Haar und Sommersprossen. Harry mit einem Dackel. Harry mit Sonnenhut auf dem Beifahrersitz eines alten Autos. Harry beim Bau einer Sandburg. Harry mit Schultüte. Harry mit junger Ingrid, Harry mit jungem Hans. Mit Mama in inniger Umarmung, neben dem Papa steif und ernst.
    Harry als Jugendlicher, aber niemals mit Freunden. Und auch nicht mit Freundinnen. Im Liegestuhl, im Wald, auf dem Fahrrad. Großer Harry als Porträt. Weiße Zähne und Sommersprossen. Ein gutes Foto.
    Wie kann so was passieren, denke ich. Harry hatte liebevolle Eltern, eine behütete Kindheit in einem blühenden Land, einen Dackel, ein Haus mit Garten. Dieses Haus, in dem ich gerade sitze. Und Harry ist unglücklich geworden, weil ihm nichts gelang. Was haben seine Alten falsch gemacht, haben sie immer zu freundlich zu ihm gesprochen?
    Wenn ich hier aufgewachsen wäre, wäre ich eine ganz andere geworden, denke ich. Ich würde mich nicht prügeln, und ich würde Wahrscheinlich auch weniger gnadenlos büffeln, selbst die Sachen, die mich überhaupt nicht interessieren, die Geschichte des Mittelalters, zum Beispiel. Ich wäre zum Siegen geborenund müsste mich nicht so verzweifelt abstrampeln, um allen zu beweisen, dass ich auch wer bin.
    Man würde es an der Alfred-Delp-Schule nicht wagen, hinter meinem Rücken zu tuscheln und aus den Augenwinkeln auf meine Aldi-Turnschuhe zu schielen. Ich wäre wer. Selbst wenn ich die Gleichen Schuhe tragen würde – das wäre dann ganz egal.
    Ich wäre locker, angstfrei und gleichgültig.
    Na gut, das bin ich jetzt auch. Aber dann wäre ich auch

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