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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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für vier Wochen umzogen – meine Mutter, ich, Anton und Alissa. Und Harry, der in diesen Tagen strahlte wie sonst nie. Wir waren quasi alle bei ihm zu Gast, und das machte ihn stolz.
    Natürlich war das nicht mehr sein Zuhause, irgendwann mit Anfang dreißig muss er es geschafft haben, bei seinen Eltern auszuziehen. Also etwa anderthalb Jahre, bevor er meine Mutter kennengelernt hat. Er hatte von da an eine Einzimmerwohnung im Studentenviertel, im vierten Stock, direkt unterm Dach. Ich war zweimal dort gewesen, es war eine Nette kleine Wohnung.
    Anstrengend war nur, dass sich Harry die ganze Zeit für alles Mögliche geschämt hatte: Dass in seiner Küche so ein Durcheinander war und dass die Kaffeedose gerade leer war und dass eine Unterhose von ihm auf dem Fußboden lag, Letzteres hat ihn unglaublich belastet. Ich hatte ihm tausendmal gesagt, dass es mir egal ist, dass ich Schlimmeres gewohnt bin, aber es war ihm dennoch furchtbar peinlich. Was es nicht besser gemacht hat, war, dass meine Mutter nicht mehr aufhören konnte zu lachen.
    Sie saß auf dem Stuhl und lachte über alles: DassHarry seine Unterhose hektisch aufsammelte und in irgendeine Schublade stopfte, aus der sofort Papiere rausfielen, dass ich über seine Turnschuhe stolperte, wie er in der Küche Kekse suchte und Flaschen umwarf. Ich fand, sie hätte nicht so laut lachen müssen, denn davon lief der arme Harry rot an und wurde nur noch hilfloser. Ich sagte es ihr auch, auf Russisch, aber sie winkte ab und meinte, ich hätte keine Ahnung. Sie folgte dem hin und her rennenden Harry mit ihrem Blick, und darin lagen Zärtlichkeit und Rührung.
    Harry sprach überhaupt nicht mit ihr während dieses Besuchs, er war vollauf damit beschäftigt, mich zufriedenzustellen, obwohl ich nicht kompliziert war. Er schaute konzentriert in mein Gesicht auf der Suche nach Regungen, die vielleicht negative Folgen für ihn haben könnten, und immer wieder drehte er sich zu meiner Mutter um und warf ihr einen Blick zu oder ein schüchternes Lächeln.
    Ich saß auf seiner Couch und trank Hagebuttentee, den ich nicht leiden kann, mit durchgeweichten Butterkeksen und möglichst zufriedener Miene, damit Harry endlich zur Ruhe kam. Irgendwann war er so weit, dass er aufhörte zu rennen und sich zu mir setzte und von seinem Studium erzählte und von seinem damaligen Job, der selbstverständlich nicht gut lief.
    Er war genauso, wie meine Mutter ihn beschrieben hatte. Am Anfang ein bisschen anstrengend, weil er so unsicher war. Als er mehr Selbstvertrauen gewonnen hatte, war er einfach nur lieb und fürsorglich.
    »Und?« fragte meine Mutter, als wir die Wendeltreppe Richtung Ausgang hinunterstiegen.
    »Ganz okay«, sagte ich. »Der kann ruhig zu uns kommen.«
    »Er ist ein Goldstück von Mensch«, sagte meine Mutter. Sie hatte sich überhaupt keine Sorgen gemacht, wie ich Harry finden könnte. Im Gegensatz zu ihm war sie sich meistens sicher.
    »Ich könnte mit so einem nicht ins Bett gehen«, sagte ich etwas ruppig, weil ich mich von der Begegnung merkwürdig aufgeweicht fühlte. Dass ein Liebhaber mit den Kindern seiner neuen Freundin gut umging, war nicht die Erfahrung, die ich bislang gemacht hatte. »Ist ein bisschen hektisch«, sagte ich.
    »Ich denke, er könnte mit dir auch nicht«, sagte meine Mutter, und es klang ein wenig spitz.
    »Findest du ihn etwa hübsch?« fragte ich.
    Meine Mutter seufzte.
    »Sag ihm, er soll seine Haare anders machen«, brummte ich.
    »Sag's ihm selber. Sag ihm genau, wie«, murmelte meine Mutter.
    »Er ist dann beleidigt. Und er wird sowieso nicht auf mich hören.«
    »Da irrst du dich.«
    Und so war es auch.
    Er zog nie bei uns ein, weil wir zu wenig Platz hatten. Aber er übernachtete regelmäßig bei uns. Seine Zahnbürste stand im Bad und seine Hausschuhe unter der Garderobe. Sein Bademantel lag im Schrank meiner Mutter. Ich benutzte ohne Skrupel das Haargel, das er auf meinen Rat hin tatsächlich gekauft und in unserem Bad deponiert hatte.
    Er sah wirklich recht schnuckelig aus, seit er keinen Scheitel mehr hatte. Hellbraunes hochstehendes Haar, lustige Augen und ein scheues Lächeln. Alissa hat ihn geliebt, und Anton erst. Ein Mann, der hier fast wohnt und beim Abwasch hilft und nie schreit und mit der Mutter Händchen hält und mit den Kindern Memory spielt und ihnen zuhört und Brote schmiert und gern als Babysitter einspringt, falls mal was ist.
    Aber trotzdem nicht der Mann, den etwa Anna nehmen würde.
    Denn Harry war, das ist

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