scherbenpark
eher total erwachsen. Grüß die anderen, Alissa, sag ihnen, ich hab mich mal gemeldet. Schlafgut.«
Alissa legt auf, ohne sich zu verabschieden. Wahrscheinlich hat sie heftig genickt. Sie kann sich nicht vorstellen, dass man das am Telefon nicht sehen kann. Sie hält gern ihre Bilder ins Telefon, und einmal war es auch ein Stück Kuchen. »Riech mal«, hat sie da gesagt. »Ganz frisch.«
Ich laufe über den Flur bis zum Badezimmer. Es ist riesig, glänzend und zur Hälfte verspiegelt. Ich fühle mich wie die Nutte aus dem Film »Pretty Woman«. Das ist ein aufregendes Gefühl. Ich schließe ab, werfe meine Klamotten auf die Fußmatte und stehe eine halbe Stunde unter der heißen Dusche, bis meine Haut ganz rot wird. Danach wickele ich mich in das Badetuch und kämme mir die Haare.
Im Schlafanzug, die ausgezogenen Kleider an mich gedrückt, laufe ich zurück in mein Zimmer. Wieder höre ich die merkwürdigen Geräusche. Es kommt mir außerdem vor, als würden sich ein Stockwerk über mir Menschen unterhalten. Es sind leise entfernte Stimmen, und ich kann nicht herausfinden, ob es zwei oder mehr sind.
Ich bin erleichtert, als ich endlich im Gästezimmer ankomme und die Tür zudrücke.
Auf der Kommode liegt nun ein Stapel Bücher. Ichsehe sie durch – die Autobiografie von Marcel Reich-Ranicki, der neuste Roman von John Irving, »Homo Faber« von Max Frisch und »Der Schwarm« von Frank Schätzing. Daneben liegen zwei Äpfel.
Auf dem runden Tisch steht eine Flasche Mineralwasser und ein Glas, die vorher auch nicht da waren.
Ich sehe mich genau um. Ich knie mich sogar hin und gucke unter das Bett, ob da vielleicht etwas runtergeflattert ist. Ich weiß nicht genau, was ich suche. Oder ich will es mir selbst nicht eingestehen.
Aber ich finde nichts mehr. Deswegen lege ich mich ins Bett, stecke das Handy unters Kissen, ziehe mir die Decke über den Kopf, schließe die Augen und weine nicht.
Ich schlafe schnell ein. Als ich wieder aufwache, ist es draußen dunkel. Ich ziehe mein Handy hervor und sehe nach der Uhrzeit. Es ist halb vier.
Ich setze mich auf.
Ich weiß noch genau, wo ich bin. Ich bin plötzlich erschrocken und aufgeregt, viel mehr als am Vorabend. Der blühende Kirschbaum im Garten breitet seine Äste gespenstisch vor meinem Fenster aus.
Mir ist kalt. Mein Haar ist immer noch nicht ganz trocken.
Vielleicht haben sie einen Fön im Bad. Bestimmt haben sie einen.
Ich schiebe die Decke beiseite und ziehe mir meine Jeansjacke über den Schlafanzug.
Meine Socken finde ich im Dunkeln nicht, und ebenso wenig den Lichtschalter. Auf Zehenspitzen gehe ich in den Flur.
Ich möchte plötzlich von ganzem Herzen nach Hause. So dringend, dass mir fast die Tränen kommen. Nächstes Mal, sage ich zu mir, denkst du vielleicht nach, bevor du irgendwas tust. Das empfiehlt sich generell.
Im ersten Stock sind wahrscheinlich die Schlafzimmer der Hausbewohner. Oder das Schlafzimmer des Hausbewohners? Ich habe doch Stimmen gehört. Oder kamen sie aus dem Fernseher?
Ich biege um die Ecke und lande im Wohnzimmer und halte mir die Hand vor das Gesicht, weil mich plötzlich der Fernseher anleuchtet. Der Ton ist ausgeschaltet. Auf dem Bildschirm tanzt Christina Aguilera, lässt ihre blonden Rastalocken fliegen und reißt angestrengt den Mund auf. Sie scheint verzweifelt zu sein, dass sie keinen Ton herausbekommt.
An der Wand erstreckt sich eine Couch, lang und seltsam geformt wie eine Riesenkrabbe. Auf der Couch ist ein Hügel.
Scheiße, denke ich und versuche, rückwärts zu laufen.
Aber der Hügel wächst in die Höhe. Er wirft seine Hülle ab, das ist die Decke. Ich weiche erschrocken zurück, trete dabei auf die Fernbedienung, und Christina Aguileras Stimme bricht in voller Lautstärke in den Raum.
Der Lärm kommt so unerwartet, dass ich in die Hocke gehe und mir mit den Händen die Ohren zuhalte, in denen die Trommelfelle wahrscheinlich gerade platzen. Es ist trotzdem furchtbar laut. Der Hügel auf der Couch verwandelt sich in einen Menschen, springtherunter und haut mit der Faust auf eine Taste am Fernseher.
Der Bildschirm wird schlagartig dunkel. Die Stille kommt so plötzlich, dass ich das gar nicht glauben kann. Ich richte mich wieder auf. Ich kann im Dunkeln nicht genau erkennen, wer da vor mir steht.
Aber eins ist klar: Es ist keine Frau.
»Du kannst deine Ohren loslassen. Ich hab's ausgeschaltet.«
»Was?« frage ich.
Der Mensch nimmt meine Hände und zieht sie herunter.
»Hallo«, sage ich und
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