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scherbenpark

scherbenpark

Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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gesagt, was für Sie neu ist?«
    »Hör auf«, sagt er und sieht mich nicht an. »Bitte hör auf.«
    »Klingt das zu gruselig? Ich dachte, Sie haben die Berichterstattung verfolgt, von Berufs wegen. Da wurde doch jedes Einschussloch ausführlich erörtert. Man will doch die Leute auf dem Laufenden halten.«
    »Nicht diese Details«, sagt er kaum hörbar. »Die habe ich nicht gelesen.«
    »Wenn es um jemanden geht, den man ein wenig gekannt hat, klingt es ganz anders als sonst, nicht wahr?«
    »Hör auf«, sagt er und steht auf. »Bitte.«
    »Volker«, sage ich langsam. »Haben Sie meine Mutter vielleicht doch ein bisschen besser gekannt?«
    Er setzt sich wieder schwerfällig hin und verschränkt die Hände. »Wie meinst du das?« fragt er.
    »Ist ja ein Ding«, sage ich. »Wie klein die Welt ist.«
    »Wovon sprichst du?« fragt er mühsam.
    »Warum wollen Sie es nicht zugeben?«
    »Ich habe nichts zuzugeben, Sascha«, sagt er und sieht mich an. Die grauen Augen sind ganz matt.
    »Ist es Ihnen peinlich? War sie Ihnen nicht gut genug? Oder wollte sie nicht mit Ihnen? Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Sascha«, sagt er laut, und ich zucke zusammen. »Was willst du eigentlich von mir?«
    »Ich von Ihnen?« frage ich nachdenklich zurück. Er sitzt mit zusammengesunkenen Schultern am Küchentisch und reibt sich mit dem Daumen die Stelle zwischen den Augen. Er sieht furchtbar müde aus.
    Er beginnt mir leidzutun.
    »Entschuldigen Sie«, sage ich dann. »Es geht mich überhaupt nichts an. Das war sehr undankbar von mir, Ihnen auf die Pelle zu rücken, wo Sie doch so freundlich waren und mich hier aufgenommen haben.«
    »Das ist doch nicht der Rede wert«, sagt er mühsam. »Ich möchte aber nicht, dass du et was Falsches von mir denkst.«
    »Noch so ein Geheimnis«, sage ich und sehe aus dem Fenster auf den Kirschbaum. »Kommen Sie, wir machen uns das Leben nicht weiter schwer. Scheint für uns beide irgendwie wund zu sein, dieses Thema.«
    Am Nachmittag geht er wieder weg. Er sagt, er muss zu einem Termin. Ich hoffe, dass es nicht deswegen ist, weil er nicht mit mir in einem Haus sein kann, weil er Angst vor meinen Fragen hat.
    Ich würde gern kurz sein Haar berühren. Es interessiert mich, ob es weich ist wie Antons oder drahtig wie meins.
    Felix kommt, als ich im Garten auf der Wiese liege und die Wolken betrachte.
    »Du bist ja auch da«, sage ich erstaunt.
    »Du doch auch«, sagt er.
    »Hockst du viel zu Hause?«
    »Immer«, sagt er. »Ich wollte dich fragen, ob du mit mir eine DVD gucken willst.«
    »Welche denn?«
    »Ich habe tausend Sachen. Auch ein paar neue.«
    Ich rapple mich auf und klopfe mir das Gras von der Jeans.
    Ich stehe lange vor seiner DVD-Sammlung, während auf dem Fernseher derselbe Nachrichtensender wie in der Nacht läuft.
    »Ich mag keine Actionfilme«, sage ich. »Und auch keine Liebesfilme. Und auch keine Horrorfilme.«
    Felix stöhnt auf. »Gibt es denn irgendetwas, was du magst?«
    »Theoretisch schon«, sage ich und suche weiter.
    »Willst du meinen Lieblingsfilm sehen?« fragt er und wird ein bisschen rot.
    Ich rechne mit James Bond oder »Mission Impossible«, aber Felix überrascht mich. »Gottes Werk und Teufels Beitrag«, spricht er verlegen aus.
    »Von John Irving«, sage ich erstaunt. »Er hat, glaube ich, auch das Drehbuch geschrieben.«
    »Das weiß ich nicht«, sagt er und blickt fragend in mein Gesicht. »Hast du Lust? Ist ein toller Film.« Und strahlt, als ich nicke.
    Er reißt eine Packung Chips auf und legt die DVD ein. Ich setze mich im Schneidersitz auf sein Bett, erstreckt sich daneben aus. Einmal berührt er mich kurz mit dem Knie und zuckt zurück, als hätte er einen Stromschlag bekommen. Ich will sagen, dass ich nicht beiße, verkneife es mir aber.
    »Er ist ein bisschen traurig«, sagt er nach fünf Minuten. »Ich weiß nicht, ob du das . . . ob es für dich . . . «
    »Mein Gott«, sage ich, »ich werde dich wegen dieses Films bestimmt nicht vollheulen. Überhaupt habe ich bislang nur einmal bei einem Film geweint.«
    »Ja?« fragt er interessiert, aber ohne die Augen vom Bildschirm abzuwenden. »Bei welchem denn?«
    »Kennst du ›My Girl‹ mit Macaulay Culkin? Er stirbt ja irgendwann in diesem Film, weil er von Wespen gestochen wird und eine Allergie hat. Und bei der Beerdigung platzt seine kleine Freundin, deren Vater das Bestattungsinstitut hat, rein und beginnt zu schreien, dass sie dem Jungen die Brille zurückgeben sollen, weil er ohne sie nichts sieht.

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