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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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die gerade im Schwimmbad von Vadims Tod erfahren hat. Obwohl es gar nicht stimmen kann. Oder oder oder.
    Oder meine Mutter. Die Stimme kommt mir so bekannt vor. Das könnte sie wirklich sein. Es klingt, als hätte sie sich wehgetan.
    Sie ist gar nicht tot, sie hat sich bloß verletzt, denkeich. Mit ihrem Fahrrad hingeknallt oder sonst was. Wie kann sie tot sein? Ich habe mich geirrt. Es war bloß ein Albtraum. So ein furchtbar langer. Die Nacht ist noch nicht vorbei.
    Ich sage überhaupt nichts, ich warte.
    »Sascha? Bist du dran?«
    »Ja«, sage ich. »Schon die ganze Zeit.«
    »Bitte komm! Bitte komm jetzt! Bitte komm!«
    »Wohin?« frage ich. Ich weiß nicht, auf welchen Hinweis ich warte. Einmal um den Solitär, da steht ein weißes geflügeltes Pferd, steig drauf, halt dich fest. Oder einmal um den Solitär, wo die kaputte Telefonzelle ist, stör dich nicht dran, dass der Apparat ausgeweidet wurde, nimm den Hörer ab. Oder geh gar nicht um den Solitär, sondern warte vor dem Eingang, ein schwarzes Auto ohne Nummernschilder wird anhalten . . .
    Ich würde jetzt alles machen.
    »Wie – wohin? Du weißt doch, wo wir wohnen! Fahr mit dem Aufzug und fertig!«
    Es ist Angela.
    »Ich will jetzt nicht«, sage ich. »Lass mich in Ruhe. Lasst mich alle in Ruhe.«
    »Bitte, Sascha, bitte! Bitte! Bitte!«
    »Grigorij?« frage ich. »Ist was mit ihm?«
    »Was? Ja!!!«
    Und da ich Angela zutraue, dass sie, bevor sie in einem Notfall den Rettungswagen ruft, vorher noch eine Tasse Zitronen-Instanttee trinkt oder zwei, renne ich die Treppe hoch, ohne auf den Aufzug zu warten.
    Ich presche durch die offene Tür. Stehe wieder imFlur, alle Türen sind verschlossen bis auf die zu Angelas Zimmer, aus dem ein Schluchzen drängt.
    »Wo ist er?« frage ich und bleibe ratlos stehen. Angela liegt im Micky-Maus-Schlafanzug auf ihrem Bett und heult mit Hingabe in ihr Kissen.
    »Wo ist Grigorij?« frage ich.
    »Der schnarcht vor sich hin«, sagt Angela ins Kissen. »Ich habe es bloß gesagt, damit du kommst. Wärst du sonst gekommen?«
    »Nein. Heute nicht.«
    »Siehst du.«
    Sie heult wieder. Ich bin erstaunt, wie viele Tränen so ein Mensch produzieren kann. Sie spritzen in alle Richtungen. Ich gehe einen Schritt weg, damit es nicht auf mich spritzt. Dann reiche ich Angela eine Packung Papiertaschentücher. Sie nimmt sie vorsichtig, legt sie aufs Bett und schnäuzt sich in ihren Ärmel.
    Ich seufze.
    »Sei froh, dass er dich hat sitzen lassen«, sage ich. »Er ist das Geheule nicht wert.«
    »Wer?« fragt Angela erstaunt.
    »Mohammed oder wie er hieß.«
    »Murat«, sagt Angela und lächelt. Ihr Gesicht ist rot und aufgedunsen. Die Tränen rollen nur so herunter. Zu dem Lächeln sehen sie ziemlich irre aus.
    »Dann halt Murat.«
    »Er hat mich nicht sitzen lassen«, sagt Angela. »Ganz im Gegenteil. Sag mir, was soll ich bloß tun? Ich weiß es einfach nicht. Ich bin . . .« Und sie dreht sich verschämt weg, als hätte sie gerade eine Mathe-Aufgabe richtig gelöst.
    »Ja? Du bist . . .?«
    »Ich bin . . .« Sie verdreht die Augen und beißt sich auf die Unterlippe.
    ». . . dumm wie Stroh?« frage ich.
    »Nein! Obwohl, das auch. Nein. Ich bin schwanger.«
    »Oh«, sage ich da nur. »Seit wann?«
    »Und mehr fällt dir dazu nicht ein?« fragt Angela und betrachtet einen neuen blauen Fleck auf ihrem Unterarm. Es ist ein ganz merkwürdiger. Eigentlich sind es vier runde Flecken nebeneinander.
    Sehen wie Fingerabdrücke aus.
    Angela spuckt auf die Kuppe des Zeigefingers und reibt damit den Fleck ab.
    Warum leuchten ihre Augen so, denke ich, ist es wegen der Tränen?
    »Was soll mir noch einfallen?« frage ich ratlos.
    »Irgendwas.«
    »Soll ich gratulieren?«
    Angela wird plötzlich sachlich. »Keine Ahnung«, sagt sie, setzt sich auf und runzelt die Stirn. »Was meinst du?«
    »Ich? Wie so ich? Warum muss ich überhaupt irgendwas meinen?«
    »Du weißt doch alles. Dir fällt doch alles leicht. Was würdest du an meiner Stelle machen?«
    »Kondome benutzen«, sage ich schnell. »Vorher.«
    Angela schiebt die Unterlippe vor.
    »Was mache ich jetzt?« sagt sie nachdenklich. »Meinst du, Murat heiratet mich?«
    »Wenn Murat so ist wie Mohammed, dann wird ersich mit seinen Kumpels über die blonde Schlampe amüsieren, die er flachgelegt hat. Heiraten wird er garantiert eine importierte Jungfrau. Und damit hast du ganz schön Glück. Habe ich dir das nicht schon mal gesagt?«
    »Doch«, sagt Angela, und ich wundere mich nicht zum ersten Mal,

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