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scherbenpark

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Titel: scherbenpark Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alina Bronsky
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angeschlagenen Tassenrands an meinem Mund ist so real, dass es mir beinah hochkommt.
    Ich liege auf dem Rücken und atme vorsichtig ein und aus. Es ist nicht mehr selbstverständlich. Ich atme so lange, bis ich wieder einschlafe, diesmal werde ich von Grigorij heimgesucht, der auf allen vieren zu einem Taxi krabbelt. Dann steigt er ein und fährt direkt auf mich zu. Aber anstatt zu rennen, bleibe ich stehen und warte, bis das Auto gegen mich geprallt ist. Es tut überhaupt nicht weh. Ich balle die Fäuste, Grigorijs Gesicht wird ganz flach hinter der Fensterscheibe.
    Ich hole aus und wache davon auf, dass meine Hand schmerzt. Die Haut an den Fingern ist abgeschürft.
    Geht das, denke ich, im Schlaf gegen die Wand schlagen?
    Kann ich nicht lieber von Volker träumen, denke ich wütend. Oder wenigstens von Felix?
    Danach traue ich mich nicht mehr, wieder einzuschlafen. Ich sitze deswegen im Bett aufrecht, lehne mich gegen die Wand und friere unter meiner Decke. Im Morgengrauen ziehe ich mir einen Pullover über den Schlafanzug, schleiche aus der Wohnung und laufe runter zu den Briefkästen.
    Es ist noch viel zu früh für den Briefträger, und wieder ist keine Karte da. Natürlich nicht. Sondern nur die Tageszeitung, die ich aus dem Zeitungsrohr ziehe.
    Ich überfliege das Titelblatt. Ich sehe erst einmal nichts Besonderes.
    Im Aufzug betrachte ich die Überschriften. Ich sehe es immer noch nicht. Die Zeitung ist völlig langweilig, und ausgerechnet diese Langeweile beruhigt mich.
    Ich liebe langweilige Dinge. Sie sind so gemütlich.
    Ich lege mich mit der Zeitung ins Bett, doch anstatt zu lesen, schlafe ich Plötzlich ein und werde vom Telefon geweckt. Ich schrecke hoch – es ist schon nach neun.
    Ich klemme den Hörer zwischen Ohr und Schulter und sammle die Zeitungsseiten wieder ein, die auf dem Boden verstreut liegen.
    »Absagen macht keinen Sinn, Angela«, sage ich. »Ich komme trotzdem.«
    Aber es ist Anna.
    »Stimmt das?« fragt sie ohne ein Wort der Begrüßung.
    »Was?«
    »Dass er tot ist.«
    »Wer?« frage ich. Ich kann nicht verstehen, warum sie mich das fragt, schließlich bin ich an diesem Abend im Scherbenpark vor ihr gegangen. »Bist du völlig bescheuert, mich das zu fragen?« sage ich.
    Aber es ist nicht Anna, die auf dem Schlauch steht, sondern ich.
    »Na er«, sagt Anna. »Vadim. Ich hab's gehört. Meine Mutter meint . . .«
    Der Hörer rutscht mir davon. Er fällt auf den Boden, das Gehäuse fliegt auf, die Batterien springen heraus.
    »Nein«, sage ich. »Das kann doch gar nicht stimmen. Ich habe doch noch gar nicht . . .«
    Und dann sehe ich es in der Zeitung. Ein Kästchen ganz weit oben. »Der Doppel-Mörder vom Solitär ist tot.«
    »Nein«, sage ich zu der Zeitung. »Wo habt ihr bloß diesen Scheiß her?«
    Vadim E. ist tot, sagt die Zeitung. Es ist ihr völlig egal, dass mir gerade schwindlig wird.
    »Kann nicht sein«, sage ich. »Ich habe ihn doch noch nicht umgebracht. Ich habe es vor. Ich habe so viele gute Ideen. Ich werde es auf jeden Fall tun. Ihn töten und ein Buch über meine Mutter schreiben. Bevor er es tut. Er wird doch nie im Leben schneller sein als ich. NIE IM LEBEN, SAGE ICH!«
    Ich hole die Lokalseite unter dem Bett hervor, schlage sie auf dem Boden auf und drücke sie mit dem Knie fest, damit sie von dem Luftzug nicht fortgeweht wird.
    Ich brauche Zeit, um es zu finden. Auch hier ist es nur eine kleine Meldung ganz weit oben.
    »Vadim E. hat sich in seiner Zelle erhängt.«
    »Er hat einen Abschiedsbrief hinterlassen.«
    Ich verstehe überhaupt nicht, was hier in dieser linken Ecke geschrieben steht.
    »Nein«, sage ich. »Das ist nicht wahr. Sie hätten uns informiert. Irgendjemand hätte Bescheid gesagt. Kann doch nicht sein, dass ich das aus der Zeitung erfahre. Das ist nicht wahr. Frau Maier-Klossowski hätte doch angerufen. Das haben die sich ausgedacht.«
    Was für eine blöde Geschichte. Eine Zeitungsente, so nennt man das. Warum heißt das eigentlich so?
    Ich werde Volker fragen.
    Ich hebe das Telefon auf, stopfe die Batterien hinein und befestige den Deckel wieder drauf.
    Das Telefon beginnt sofort zu klingeln. Der Ton ist irgendwie hysterisch, denke ich. Ich sollte einen anderen einstellen.
    »Naimann«, sage ich ganz ruhig.
    Und im Hörer wimmert's.
    »Was?« sage ich. »Wer ist da?« Plötzlich bin ich völlig orientierungslos. Ist es jetzt Vadim, denke ich. Hatte ja, trotz der Kalaschnikow-Schwärmerei, eine ziemlich hohe Stimme, der alte Eunuch. Oder Maria,

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