Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
musste Irmi sich ermahnen, das Mädchen nicht anzustarren. Sie war so hübsch! Auf dem Rückflug nach München hatte Irmi in einem Magazin einen Artikel über die Schönheit gelesen. Darin hatte gestanden, dass Schönheit nur bedingt im Auge des Betrachters liege. Quer durch die unterschiedlichsten Kulturen würden bei Frauen hohe Wangenknochen und eine schmale untere Gesichtshälfte attraktiv wirken, bei Männern hingegen seien ein wuchtiges Kinn und eine markante Nase entscheidend. Das alles hänge mit einem erhöhten Östrogen- beziehungsweise Testosteronspiegel zusammen, denn diese Sexualhormone sorgten nicht nur für Fruchtbarkeit, sondern auch für lockende Ästhetik. Laut dem Magazin hatten amerikanische Wissenschaftler bei ihren Versuchspersonen jeweils die beiden Ohren, Hände und Füße miteinander verglichen und dabei entdeckt, dass die in dieser Hinsicht symmetrischsten Männer früher sexuell aktiv wurden als die asymmetrischen Kerle. Für Frauen mit beidseitig gleich proportionierten Brüsten galt dasselbe – körperliches Ebenmaß signalisierte offenbar tüchtige Gene. Wahrscheinlich war auch Anna Maria so eine Symmetrieprinzessin.
»Hatten Sie denn näheren Kontakt zu Ionella?«
»Ich hab sie zweimal in München am Busbahnhof abgeholt, das mach ich gern, wenn es reinpasst. Ich habe aber im Hotel sehr unregelmäßige Dienstzeiten. Den meisten Umgang mit Ionella müsste eigentlich Vroni gehabt haben, weil die ja immer die Einkaufstour gefahren ist. Manchmal sind die beiden danach noch ein bisschen in Ogau geblieben, oder sie haben einen Ausflug nach Garmisch gemacht.«
»Wir haben mehrfach gehört, die Pflegerinnen hätten geklaut. Was meinen Sie dazu?«
»Ach, Unsinn, das hätten die sich doch gar nicht getraut. Sie brauchten das Geld und hätten es nie im Leben riskiert, den Job aufs Spiel zu setzen.«
»Es hieß auch, Ionella hätte zusätzliches Trinkgeld eingestrichen?«
»Blödsinn! Der Opa hat den Wert von Banknoten halt nicht mehr im Blick. Diesen Euro hat er nie ganz verstanden. Er bietet allen immer mal wieder fünfzig Euro an – einfach so. Auch mir und der Vroni steckt er ab und an einen Schein zu. Wir nehmen das Geld an und legen es hinterher unauffällig in die Haushaltskasse. Ich hab den Mädchen gesagt, dass sie es auch so machen sollen. Er wollte doch unbedingt, dass sie es annehmen.«
»Und das hat immer geklappt?«
»Keine Ahnung. Aber kommen Sie, fünfzig Euro. Davon wird meine Familie nicht arm.«
»Das scheinen einige aber anders zu sehen. Ihr Onkel zum Beispiel steht finanziell offenbar nicht so gut da, oder?«
»So genau weiß ich das nicht. Onkel Franz ist kein Geschäftsmann. Aber so toll sieht es bei uns ja auch nicht aus.«
Irmi warf Kathi einen Seitenblick zu. Das hatte sich bei Renate aber anders angehört.
»Inwiefern?«
»Die Energiekosten und die Gebühren bei den Bioverbänden steigen ebenso wie die Anforderungen an die Produkte. Reich wird da keiner. Papa hat sich ein paar neue Maschinen gekauft, aber die gehören momentan natürlich vor allem der Bank. Also, Frau Mangold …«
Irmi kannte das alles. Sie und ihr Bruder betrieben eine konventionelle Landwirtschaft, aber die Probleme waren die gleichen. Sie hatte auf einmal das Gefühl, dass Anna Maria ihr noch irgendetwas sagen wollte.
»Wenn Sie sonst etwas bedrückt, erzählen Sie es uns doch bitte«, ermutigte sie die junge Frau.
»Nein, also … es ist nur so …« Anna Maria atmete tief durch. »Ich weiß nicht, ob das wichtig ist, aber der Opa hat irgendwas an seinem Testament geändert«, sagte sie schließlich.
»Wie bitte? Woher wissen Sie das, Anna Maria?«
»Der Opa hat bestimmt zwanzig Brillen, er hat nämlich alle alten aufgehoben. Und natürlich hat er immer die falsche auf. Als ich neulich zu Besuch war, hat er mich gebeten, seine Lesebrille zu suchen. Ich hab sie dann auch gefunden und ihm gebracht. Der Opa saß gerade an seinem Sekretär im Schlafzimmer und hat etwas geschrieben. Ich konnte nur die oberste Zeile lesen. Da stand eindeutig das Wort ›Testament‹. Er hat mich dann relativ charmant rausgeworfen. Ich hab noch gefragt, ob ich ihm was helfen kann, aber er hat nur gesagt: ›Dir wird es an nichts fehlen, Mäuselchen.‹ Er sagt immer Mäuselchen zu mir. Und zur Vroni Moppelchen, was sie mehr kränkt, als sie zugibt. Gerade, weil es vom Opa kommt.«
»Und nun nehmen Sie an, er hat ein neues Testament geschrieben. Warum sollte er das getan haben?«
»Keine Ahnung. Ich
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