Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
gewehrt, die den Rückstrom in den Norden steuern wollten. Die Häfen waren ja noch vermint, die Versorgung nicht gesichert, und es gab keine Verwaltung. Die hatten Angst vor Anarchie. Aber die Kinder des Nordens kannst du nicht stoppen. In Honningsvåg hat die Kirche den Zurückgekehrten ein festes Dach über dem Kopf geboten. In der Sakristei wurde eine Bäckerei eingerichtet, im Kirchenschiff eine Feldküche installiert, Schlafplätze wurden abgeteilt. Und im Nachhinein hatten die Deutschen ja sogar was Gutes: Man hat einfach deutsche Militärbaracken aus Südnorwegen hierhergeschafft, um darin die Leute unterzubringen.«
Aksel lachte. Er hatte wirklich einen entwaffnenden Humor. Und wieder mal spürte Irmi, dass es gut war, ab und zu die Heimat zu verlassen, weil es überall auf der Welt Orte und Menschen gab, die einen sanft umfingen.
»Wir sind gleich da«, sagte Aksel. »Was du hier draußen siehst, entspricht dem Geist der Zeit, in der es errichtet wurde. Nach dem Krieg wollte man die Region zukunftsweisend aufbauen, moderne Wohnungen schaffen und die Wirtschaft ankurbeln. Die alten niedergebrannten Fischersiedlungen am Meer sollten aufgegeben und stattdessen neue Städte an den großen Fjorden errichtet werden. Die norwegische Exilregierung in London hatte das alles schon minutiös geplant und ausgearbeitet. Der Vorteil war, dass mit der modernen Bauweise die Klassenunterschiede der Vorkriegsgesellschaft abgeschwächt wurden: Die neuen Gebäude waren in erster Linie modern und funktional – unabhängig von der Bevölkerungsschicht.«
»Du wärst ein guter Fremdenführer«, meinte Irmi.
»Ich möchte eben, dass ihr Deutschen uns versteht. Ich höre von Besuchern oft abfällige Bemerkungen über Alta, das sie so hässlich finden. Die hätten alle lieber romantische rote Holzhäuschen ohne fließend Wasser.«
»Weißt du, Aksel, diese Anforderung wird auch an meine Heimat gestellt. Am besten sollten wir alle in uralten Katen hausen, in denen der Kachelofen vor sich hin bullert und wo es draußen ein Klohäuschen mit Herzerl gibt. Das Heu sollten wir ganz ohne Maschinen aufladen und unsere Kühe natürlich auch von Hand melken. An unserem Hof führt ein Wanderweg vorbei, da kann man den Gesprächen lauschen. Die Touristen beschweren sich über die hässlichen Solaranlagen auf den Dächern, sie wollen für die schönste Zeit des Jahres eine Traumkulisse. Aber in diesen Kulissen leben Menschen!«
»Völlig richtig. Meine Schwiegermutter war Architektin und hat mir erzählt, dass die Frauen im Allgemeinen wesentlich weniger Widerstand gegen die Modernisierungsprozesse zeigten als ihre Männer. Frauen zogen nämlich direkten Nutzen aus modernen Küchen mit fließendem Wasser, aus Badezimmern und Toiletten im Haus. Dass das alles für den heutigen Geschmack nicht gerade hübsch ist, stimmt natürlich. Aber es sind seitdem ja auch über sechzig Jahre vergangen. So, da sind wir.«
Aksel parkte vor einem schlicht aussehenden Haus.
»Das hier ist ein typisches Finnmarkhaus mit fast quadratischem Grundriss, anderthalb oder zwei Stockwerken, einem Satteldach und einer Wohnfläche von neunzig Quadratmetern. Später wurde hier ein Vorhaus angebaut. Hinten gibt es eine Veranda, das haben wir neulich festgestellt, als wir hier waren, um herauszufinden, ob sich jemand im Haus aufhält.«
Drinnen brannte Licht.
»Na, dann versuchen wir mal unser Glück. Es gibt eine Tür, die auf die Veranda hinausführt. Könntest du die bitte sichern, falls sich jemand davonmachen will? Ich läute so lange vorn«, sagte Aksel.
Irmi nickte und ging auf die Rückseite des Hauses. Sie hörte, wie Aksel mehrfach klingelte, anklopfte und dann irgendwas rief. Das Licht erlosch. Aksel trommelte weiter.
Plötzlich wurde Irmi bewusst, dass sie ohne Waffe dastand. Was, wenn gleich ein gewaltbereiter Bewohner hinausstürmte? Kathi würde angesichts solcher Unvorsichtigkeit ganz schön meckern.
Aber nichts passierte, und Irmi begann allmählich zu frösteln. Nach einer halben Ewigkeit ging das Licht wieder an. Sie hörte Schritte. Leise Stimmen. Dann Aksel, der rief: »Irmi, komm bitte zur Haustür!«
Irmi ging eilig nach vorn. Vor dem Haus stand Aksel, im Türrahmen eine junge Frau. Blonde lange Haare. Blaue Augen. Sie trug Jeans und einen Pullover mit einem gewaltigen Rollkragen. Irmi kannte sie. Es war das zweite Mädchen auf dem Foto. Marit Aarestad.
»Können wir reinkommen?«, fragte Aksel die junge Frau.
Die nickte, ging vor bis
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