Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)
früher?«, fragte Irmi, obwohl sie wusste, dass es klüger gewesen wäre, genau das nicht zu fragen.
»Früher eben.«
Irmis Magen meldete sich mit Sodbrennen. »Du warst mit deiner Frau bei Sven, oder?«, hakte sie nach.
»Ja, und?«
Ja, und? Da schleppte er sie in eine romantische Hütte hinterm Polarkreis, und dann stellte sich heraus, dass er mit seiner Frau dort gewesen war. »Schleppst du alle deine Weiber dahin?«
»Erstens mal habe ich keine ›Weiber‹, und zweitens hast auch du ein Vorleben.«
»Ich bin mit dir aber nirgendwohin gefahren, wo ich mit meinem Exmann Urlaub gemacht hab!«
Jens schwieg. Er fuhr konzentriert und sah strikt geradeaus. In Irmis Innerem rumorte es. Natürlich hatte sie ein Vorleben, und der zauberhafte Ort konnte ja nichts dafür, dass Jens hier schon mal mit seiner Frau gewesen war. Und eigentlich verlor er dadurch auch nichts. Dennoch empfand sie ihn auf einmal als entzaubert. Jens hatte hier schon geliebt – eine andere, mit der er bis heute verheiratet war und zusammenlebte. Auch wenn er nur seiner Töchter wegen blieb und aus Fairness gegenüber seiner Frau, die mit ihren schweren Depressionen immer wieder längere Phasen in irgendwelchen Kliniken verbrachte. Aber bei ihrer gemeinsamen Reise damals war sie bestimmt gesund gewesen.
Warum störte sie das nur so? Gab es einen Exklusivitätsanspruch auf Orte? War es geschmacklos, romantische Orte mit verschiedenen Partnern zu besuchen? Und würde Jens das überhaupt so sehen?
Er schwieg ebenso beharrlich wie Irmi. Eine gleichmäßige Landschaft flog vorbei, eine riesige Rentierherde warf ein Zerrbild, Jens fuhr viel zu schnell. Immerhin war Irmi klug genug, jetzt nicht zu maulen: »Ras nicht so!« Ihr war schlecht. Eine beständige Übelkeit, die nicht von dem viel zu starken Kaffee herrührte.
Fast eine Stunde war vergangen, als Jens sagte: »Ich wusste nicht, dass es dich so trifft. Tut mir leid. Ich wollte dir etwas zeigen, was mir sehr viel bedeutet. Im Übrigen war ich hier vor allem mit einem alten Kumpel, der im Ölbusiness gearbeitet hat. Er ist vor ein paar Jahren gestorben. Mit Margret war ich nur einmal hier. Sie fand es furchtbar am Arsch der Welt.«
Irmi schluckte. »Es tut mir auch leid. Es war nur … es ist … ach!«
»Schon okay.«
Wenig später bogen sie auf die 93 ab, wo ihnen ab und zu Autos entgegenkamen. Vorher war da nichts gewesen außer zugefrorenen Seen, Dünen und Birkenwäldern. Und die Stille der Finnmark.
»Wie viele Leute leben denn hier?«, fragte Irmi. »Du weißt doch immer alles.«
»Mag sein. Bloß nicht, wie man Frauen behandelt. Das lern ich auch nicht mehr.«
Er klang unglücklich. Sie war wirklich eine Idiotin, dachte Irmi. Da fuhr Jens sie in der Finnmark spazieren, schenkte ihr seine bedingungslose Fürsorge – und sie zickte rum. »Jens, es tut mir wirklich leid! Sehr sogar! Verrätst du mir trotzdem noch was über die Finnmark?«
»Die Finnmark ist der nördlichste und größte Regierungsbezirk Norwegens. Ich glaube, sie ist ungefähr so groß wie Niedersachsen und hat fast fünfundsiebzigtausend Einwohner. Hier leben die Sami, die Kvener, das sind Einwanderer aus Finnland, und natürlich Norweger.«
»Wie war das wohl, als Xaver Schmid hier ankam?«
»Jedenfalls nicht leer. Honningsvåg hatte wegen seiner geschützten Lage schon seit mehreren Hundert Jahren einen bedeutenden Hafen. Die Stadt war Zollstelle und ein wichtiger Stützpunkt für den Schiffsverkehr zwischen Ost und West. Sie wurde ein Zentrum der Fischindustrie, und als die Deutschen einmarschierten, dürfte der Ort etwa zweitausend Bewohner gehabt haben. Honningsvåg wurde zum Marinestützpunkt und ab 1941 zu einem entscheidenden Umschlagplatz für den Nachschub an die deutsch-russische Front.«
»Nicht zu fassen, was du alles weißt. Wie merkst du dir das eigentlich alles? Übrigens habe ich das neulich ernst gemeint, als ich gesagt habe, dass ich dich bewundere.« Irmi zögerte. »Und liebe. Sehr.«
»Auch wenn ich alle meine Weiber an den Polarkreis schleppe?«
»Komm, ich hab mich entschuldigt. Ich bin blöd. Saublöd.«
»Nein, ich bin blöd. Aber weiter im Text des Dozenten: Der Porsangerfjord und der Flughafen von Lakselv waren strategisch extrem wichtig für die Deutschen. Bis heute sieht man Reste von aufwendig errichteten Stellungen, Bunkern, Materiallagern und Baracken der Kriegsgefangenen. Rund sechzehntausend deutsche Soldaten waren allein in der Kommune Porsanger
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