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Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition)

Titel: Scheunenfest: Ein Alpen-Krimi (Alpen-Krimis) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Internierungslager. Kein Wunder, dass die Kinder Lese- und Schreibstörungen hatten und auch als Erwachsene kaum Formulare ausfüllen oder mit Ämtern kommunizieren konnten. Man wollte sie vom öffentlichen Leben weitgehend ausschließen. Das moderne Norwegen täte gut daran, diesen Teil seiner Geschichte nicht zu vergessen. Bis heute gibt es unter den Sami einen höheren Anteil von Menschen mit sehr schlechter Schulbildung und mit Alkoholproblemen.«
    »Aber durften Sie denn Samisch sprechen?«, wollte Irmi wissen.
    »Erst ab dem Ende der Sechzigerjahre gab es wieder Erstklässlerunterricht mit der Hauptsprache Samisch, aber da war ich längst raus aus der Schule. Später erschienen zweisprachige ABC -Bücher, im Radio wurden Nachrichten auf Samisch gesendet, und Filmemacher und Schriftsteller zeigten Interesse für dieses Volk. In den Siebzigern waren es eher linksradikale Kräfte, die sich für unterdrückte Minderheiten einsetzten. So gerieten auch die Sami wieder ins Blickfeld.«
    »Da war ein großer Teil ihrer Identität und Kultur bereits verloren gegangen«, sagte Aksel. Er sah aus wie ein großer trauriger Wikinger, der gerne alles richtig machen würde und doch wusste, wie unmöglich das war, solange die Menschen so waren, wie sie eben waren.
    »Ihre Mutter Magga war aber nur eine halbe Sami, oder?«, warf Irmi ein.
    »Ja, die Geschichte wiederholt sich. Norweger schwängert Samifrau, und eine Generation später: Deutscher schwängert Halbsami. Vielleicht hat meine Mutter sich gerade deshalb Xaver zugewandt, weil sie ein Mischling war und sich in dieser Zeit als Aussätzige fühlte. Ich denke mir, dass sie seine Briefe nicht beantwortet hat, weil sie nicht gut lesen und schreiben konnte. Aber ehrlich gesagt, weiß ich das gar nicht so genau.« In Åses Augen standen Tränen.
    War es wirklich ein unumstößliches Naturgesetz, dass sich die Geschichte wiederholte? Dann blieb es die wichtigste, aber auch schwerste Aufgabe von allen, aus den Todesspiralen und Teufelskreisen der Vergangenheit auszubrechen.
    Sie tranken Bier und redeten über Zeiten, die sie alle nur aus Büchern und Erzählungen kannten. Wenn der letzte Zeitzeuge stirbt, dann ist es Geschichte – das hatte sich in Irmis Herz eingegraben. Einer dieser Zeitzeugen lebte noch und hatte eine Tochter …
    Es war spätabends, als Irmi Åse die Frage aller Fragen stellte: »Kommst du morgen mit nach Bayern?«
    »Das wird sie«, sagte Runa, die inzwischen mit Gordon wiedergekommen war. »Lore hat uns schon die Flüge gebucht.«
    Irmi schlief gut in dem schönen Hotel am Berg. Sie wachte kurz nach sechs auf, weil eine Pistenraupe piepsend unter ihrem Balkon kreiste. Sie warf ein Blick aus dem Fenster. Erste Skifahrer zogen bereits los und schoben sich im Schlittschuhschritt voran. Wer brach denn so früh im Dämmerlicht auf? Ach ja, Irmi erinnerte sich, dass Åse gestern noch vom Early Morning Skiing erzählt hatte. In einem abgesperrten Teil des Gebietes durfte sich eine Gruppe von fünfzig Verrückten auf frischen Pisten austoben, bevor ab neun die regulären Gäste kamen.
    Diese Skiwelt war wirklich nichts für Irmi. Auch beim Frühstück wunderte sie sich über die Menschen, deren dicke Hosen bei jedem Gang zum Büfett geräuschvoll raschelten. Andere kamen einfach in der Skiunterwäsche, was vor allem ästhetisch wenig befriedigend war.
    Aksel vernichtete wie immer Kaffee, als gäbe es kein Morgen, bevor ein Taxi kam und sie zum Expressbus nach Gardermoen brachte. Runa und Åse saßen bereits im Bus, als Irmi und Aksel eintrafen. Ihnen war anzusehen, dass sich die Situation geändert hatte. Gestern hatten sie in der Geschichte ihrer Familie und ihres Landes gerührt, hatten spekuliert und theoretisiert, doch heute stand die unverrückbare Realität vor ihnen.
    Lore drückten ihnen Kekse und kleine Wasserflaschen in die Hand und winkte, bis der Bus um die Ecke bog. »Pass bitte auf sie auf«, hatte sie noch zu Irmi gesagt, bevor diese in den Bus gestiegen war.
    Am Flughafen verabschiedete sie sich von Aksel, der zurück nach Alta fliegen würde. Irmi hasste diese Abschiede am Flughafen. Plötzlich fiel einem so vieles ein, was man noch hätte sagen wollen, doch blecherne Stimmen riefen drängend zu den Gates. Sie versprach, sich bei ihm zu melden und ihn auf dem Laufenden zu halten.
    Im Flugzeug hörte Runa Musik über Kopfhörer, während Irmi und Åse ein wenig plauderten. Åse erzählte von ihrer Mutter, die so viel über Kräuter und

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