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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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beobachten konnte. Lew verbrachte drei Monate in der Station. »Wir kletterten gestern hinauf und erreichtenunsere Unterkunft ziemlich schnell«, schrieb er Sweta. »Ich fühle mich prächtig. Ich habe einen Riesenappetit und eine Menge unvergesslicher Erinnerungen.« Unterdessen hatte Sweta Semesterferien und arbeitete in der Lenin-Bibliothek, die damals in einem modernen Betonblock in der Nähe des Kremls entstand. »Weißt Du, nun haben wir einen herrlichen Platz vor der Bibliothek, und er ist ganz und gar mit Büschen und Blumen bepflanzt«, schrieb sie Lew. »Wer wird mir einen Blumenstrauß zum Geburtstag schenken?« Lew sollte am 1. September – zehn Tage bevor Sweta 23 Jahre alt wurde – aus dem Kaukasus zurückkehren, und er überreichte ihr stets Blumen zum Geburtstag. Bis dahin würde sie sich allerdings mit Briefen zufriedengeben müssen.
     
    3. August 1940
Ljowenka,
mein erster Gedanke, als ich heute nach Hause kam, war der, zu fragen, ob Briefe für mich eingetroffen seien, aber alle fingen an, mich Deinetwegen zu necken. Also tat ich so, als wartete ich auf Irinas Postkarte. Doch dann sagte Tanja – mit großem Nachdruck –, dass Irina keine Postkarte geschickt habe. Dadurch wurde mir klar, dass etwas von Dir gekommen sein musste. Ich folgte ihr von Zimmer zu Zimmer (alle Türen sind in unserer Wohnung weiterhin unverschlossen, so dass man die Runde machen kann, solange man möchte) 5 und bat sie, mir Deinen Brief zu geben. Schließlich hatte Mama Erbarmen und reichte ihn mir.
     
    Sweta hatte Neuigkeiten für Lew: Ihr war eine feste Stelle in der Bibliothek angeboten worden.
     
Sie werden keine Bessere als mich finden. Ich weiß Bescheid über die Anordnung der Räume, der Schränke und der Regale … Ich kenne die Zeitschriften in- und auswendig, und mit meiner Kenntnis des römischen Alphabets kann ich den Monat, das Jahr, den Namen und den Preis jedes Journals in allen Sprachen außer der chinesischen herausfinden … Ich habe einen hellen Kopf, der vielleicht nicht den schärfsten Verstand, aber auch keine Baumwolle enthält … Vera Iwanowna sagte, ich würde innerhalb eines Jahres Gruppenleiterin sein. Wollte ich tatsächlich mein ganzes Leben lang in der Bibliothek bleiben, wäre dies ein guter Anfang für eine Karriere. Aber ich möchte nicht mein ganzes Leben dort verbringen, deshalb … werde ich am Montag nein sagen.
 
Lew, mach Dir keine Sorgen um meine Gesundheit. Ich habe Dir erklärt, dass entweder meine Stimmung von meinem Zustand oder mein Zustand von meiner Stimmung abhängt. Jedenfalls kannst Du aus meiner Handschrift ersehen, dass ich ruhig und unbesorgt bin, was bedeutet, dass ich keine Schmerzen habe und an keiner Krankheit leide. Mama meint, ich hätte Tuberkulose. Ihre Begründung: meine Gewichtsabnahme. Aber Du weißt, bei meiner Ernährung wäre es schwierig, etwas anderes zu erwarten, und ich habe keine sonstigen Symptome.
     
    Im Juni 1941 sollte Lew mit seinen FIAN-Kollegen eine zweite Expedition zum Elbrus unternehmen. Am 22. Juni, einem Sonntagmorgen, beendete sein Team die Reisevorbereitungen im Institut. Lew war bester Laune, denn er hatte gerade seine Abschlussexamen an der Universität bestanden und von dem für die Arbeitsplatzverteilung zuständigen Fakultätsausschuss erfahren, dass er einer von nur vier Studenten sei, welche die Forschung für das Kosmische-Strahlung-Projekt am FIAN fortsetzen durften. Sweta war mit einem Jahr Verzug an die Physikalische Fakultät zurückgekehrt, und die beiden genossen ihr Glück. Lew und seine Kollegen packten gerade die letzten Geräte ein, als der Teamleiter das Zimmer betrat. »Wir fahren nirgendwohin«, sagte er. »Habt ihr Radio gehört?«Am Mittag hatte der sowjetische Außenminister Wjatscheslaw Molotow mit bebender Stimme in einer Sondersendung verkündet: »Heute Morgen um vier Uhr fielen deutsche Soldaten in unser Land ein, griffen unsere Grenzen an vielen Orten an und bombardierten unsere Städte – Schitomir, Kiew, Sewastopol, Kaunas und andere.«
    Der deutsche Angriff war so wirkungsvoll und zügig, dass die sowjetischen Streitkräfte völlig überrumpelt wurden. Stalin hatte Geheimdienstberichte über die deutschen Invasionsvorbereitungen ignoriert, und die sowjetische Verteidigung war in einem desolaten Zustand. Sie wurde von den neunzehn Panzerdivisionen und fünfzehn motorisierten Infanteriedivisionen an der Spitze der deutschen Invasionsstreitmacht mühelos außer Gefecht gesetzt. Die sowjetische

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