Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Batumi, in dem sie ihm mitteilte, sie könne ihre Rückreise nach Moskau erst sechs Tage später antreten. Von Batumi aus kaufte sie eine Fahrkarte direkt nach Petschora. Dann reiste sie zunächst nach Moskau, wo sie zu Hause wärmere Kleidung, eine Wolldecke und ein Bettlaken einpackte, um danach den Zug in Richtung Norden nach Petschora zu nehmen. Von Batumi aus hatte sie 4200 Kilometer per Bahn zurückgelegt, um mit Lew zusammen sein zu können.
Diesmal hatte Sweta die Erlaubnis, drei Tage mit Lew im Haus der Begegnungen zu verbringen, was ihr wie ein unglaublicher Luxus vorgekommen sein muss. Vom Bahnhof ging sie direkt zur Hauptverwaltung des Petschorlag – es war dasselbe weiße Gebäude, das sie im Vorjahr aufgesucht hatte –, um das erforderliche Dokument zu holen. Anscheinend kam sie am 26. September an, denn an jenem Tag schrieb Lew an Nikita, er habe »S. getroffen«. Das Laken und die Decke, die sie aus Moskau mitgebracht hatte, waren offenbar für das Bett im Haus der Begegnungen bestimmt. Swetaerinnerte sich später, dass Lew keine Minute von ihrer Seite wich. Er brauchte seine Schichten nicht abzuleisten, was Häftlingen, die Besucher hatten, normalerweise nicht erspart blieb, denn die Funktionäre, mit denen er gut auskam, erlaubten ihm, bei Sweta zu bleiben. Dies waren traumhafte Tage für die beiden. Zum ersten Mal genossen sie das schlichte Glück – das so lange unerreichbar zu sein schien –, als Mann und Frau zusammenzuleben.
Sweta reiste am 28. September ab. Vermutlich noch während sie am Bahnhof von Petschora auf den Zug wartete, schrieb sie einen Brief an Lew. Wie üblich war das Schreiben voll von alltäglichen Details, als müsse sie sich von den schrecklichen Emotionen ablenken, die sie nach dem Abschied von ihm empfand.
Leb wohl, Ljowa.
Ich habe mir problemlos eine Fahrkarte besorgen können, allerdings nur für einen Schlafplatz in einem gemischten Abteil.
Ich war im Haus der Mädchen und konnte mit Lida und Nelli [Kowalenko] sprechen. Wie sich zeigt, haben sie bereits dunkelblaue Bänder, aber sie freuten sich sehr über die roten. Um sicherzugehen, habe ich mir notiert, dass weder Nelli noch Tolja [Tolik] irgendwelche Lehrbücher hat. Und Lida geht zurzeit nicht in die Schule, sondern passt auf das Kind einer anderen Familie auf. Sie plant, mit ihrer Schwester Tamara nach Dnepropetrowsk zu reisen, um dort eine technische Schule zu besuchen. Ich billigte den Plan und gab ihnen meine Adresse.
Ich werde Dir eine Beschreibung meiner Reise schicken. Aber vorläufig habe ich keine Energie mehr und höre daher auf zu schreiben.
Versuch, vorsichtig zu sein, Ljowa, und Grüße an alle.
Früh am Morgen des 1. Oktober, eines Sonntags, war sie wieder in Moskau, und am folgenden Tag kehrte sie an die Arbeit zurück. Niemand fragte sie, wo sie gewesen war.
Lew schrieb ihr am 29. September. Er wollte ihr mitteilen, dass sie einen großen Eindruck auf seine Freunde gemacht hatte, die insHaus der Begegnungen gekommen waren, um sie kennenzulernen oder um sich für die Päckchen und Medikamente, die sie ihnen geschickt hatte, zu bedanken:
Mein Liebling Sweta, jegliche Wärme ist mit Dir verschwunden. Gestern Abend war die Luft schon fast herbstlich, und über Nacht fiel Schnee, der sich jedoch bis zum Morgen in Matsch verwandelte.
Ich habe viele für Dich gedachte Komplimente erhalten. Eines lautete folgendermaßen:
»Wie das Mädchen reden kann! Sie könnte mit den Toten sprechen!« (In dem Sinne, dass Du die Toten wiedererweckst – nicht zu verwechseln mit »jemanden totreden«.) I. S. [Baschun, ein altgedienter Mechaniker im Kraftwerk] lässt sich sonst nicht auf Gespräche mit Fremden ein, aber er sagt, es sei ihm leichtgefallen, mit Dir zu reden. Und N. L[itwinenko] traf vor zwei Abenden ein bisschen erstaunt ein. Er habe erwartet, einer imposanten Frau zu begegnen, »jedenfalls viel imposanter als Du« (das heißt als ich), aber wie sich herausstellt (Gott und Du mögen mir meinen Mut verzeihen, das zu sagen), »ist sie bloß ein zierliches Mädchen«. Nun denn, das kannst Du auslegen, wie Du willst. Ich war natürlich sehr zufrieden! Dank Euch, Ihr intelligenten Leute!
Während Lew und Sweta in den folgenden Wochen zu ihrem normalen Tagesablauf zurückkehrten, begannen sie einen Austausch darüber, wie sie die vier Jahre bis zu seiner Entlassung gestalten sollten. Sweta machte den Anfang und umriss ihr »ideales Leben« für den kommenden
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