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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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duschen, aß eine Mahlzeit und war vor 4 Uhr eingeschlafen. Um 8 stand ich auf, aber seitdem bin ich noch nicht richtig wach und werde mich bald wieder hinlegen. Ichhabe zwei Deiner neuesten Briefe und einen weiteren von Oleg vorgefunden, einen Schrei aus der Tiefe, der an Dich gerichtet ist … Natürlich hatte kein Einziger im Zug Blumen bei sich. Ich nahm meine bis nach Hause mit, obwohl ich sie unterwegs nicht in Wasser stellen konnte. Sie mussten teils in der Gepäckablage und teils auf dem Boden direkt unter dem Sitz verstaut werden … Schön, Ljowa, das ist es vorläufig. Pass auf Dich auf.
     
    Am Tag nach ihrer Abreise schrieb Lew:
     
Meine liebe Swetin, es kommt mir ohne Dich immer so viel öder vor, wenn ich zu dieser unchristlichen Zeit aufstehen muss. Gerade habe ich angefangen, die Verteilungsanlagen umzustellen, und ich kann Dich überall hören und sehen. Heute war eine Menge Arbeit zu erledigen, und ich tat alles wie im Schlaf. Morgen habe ich allein Dienst, so dass es mir schwerfallen wird, zu schreiben, und noch schwerer, nicht an Dich zu denken. Aber trotzdem fühle ich mich gut, mein Liebling.
     
    Wie zuvor fasste Lew durch Swetas Besuch neuen Mut. »In den letzten Tagen bin ich wohlauf«, schrieb er am 23. August, »die Arbeit ist leicht, und ich lasse mich durch nichts aufregen. Und wenn ich doch ab und zu knurre, dann nur der Form halber und nicht aus Ärger.«
    Sweta dagegen empfand nach ihrer Rückkehr eine gewisse Leere. »Es ist genau eine Woche her, dass ich daheim eintraf, und genauso lange seit meinem letzten Brief an Dich«, schrieb sie am 28. August.
     
Das Moskauer Klima setzt mir übel zu. Erstens ist es überall stickig – im Kino, bei der Arbeit, in der U-Bahn, im Zug, in der Straßenbahn. Zweitens möchte ich nur noch schlafen. Drittens ist mein Kopf irgendwie leer. Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass das Klima daran schuld ist. Die Schuld hat, wenn nicht der Kopf selbst, dann die Tatsache, dass ich ihn mit unmöglichen Fragen quäle. Sogar auf der Rückfahrt im Zug nagte Unsicherheitan mir: Was sollte ich tun – entschieden »nein« sagen [zu einem neuen Forschungsprojekt im Institut] und meiner »wissenschaftlichen« Karriere ein Ende setzen? Oder sollte ich die Kraft aufbringen, es durchzuführen? Ich weiß, dass ich es versuchen muss, aber ich sehe keine realistische Chance … Daher laufe ich jeden Tag mit Kopfschmerzen und voller Apathie herum, was die Arbeit im Labor angeht.
     
    Sweta war so verzagt, dass sie sogar daran dachte, das Fotografieren aufzugeben. »Was für eine arme Person Du bist, Sweta«, lautete Lews Reaktion am 12. September. »Dauernd suchst Du nach etwas Neuem, für das Du Dich tadeln kannst.«
     
Ich habe natürlich keines der neueren Ergebnisse gesehen, und vielleicht sind sie tatsächlich schlecht. Aber auch wenn sie gut sein sollten, wirst Du immer noch nicht zufrieden sein – Du wirst behaupten, es sei ein Zufallstreffer und die nächsten Fotos würden bestimmt wieder misslingen. Trotz allem hoffe ich, dass Du das Fotografieren nicht vernachlässigen wirst und dass ich ein paar Muster Deiner Arbeit erhalten werde. Am liebsten hätte ich Bilder, auf denen Du im Passiv bist [fotografiert wirst] – diejenigen, die Du am wenigsten gebrauchen kannst. Wie Du siehst, steht mein Egoismus im Gegensatz zu Deinen eigenen Interessen [die Fotos zu machen], aber Deine anderen Werke gefallen mir auch. Du kannst mir unbesorgt Bilder schicken – ich werde sie niemandem zeigen, selbst wenn sie gelungen sind … Ich möchte sie nur für mich haben.
     
    In jenem Herbst war Sweta sehr beschäftigt – sie schrieb Berichte für den Allunions-Normungsausschuss (der die Qualität von Produktionsgütern überwachte), inspizierte Fabriken in Leningrad und schloss sich Freiwilligenteams an, die halfen, die Ernte auf Kolchosen im Moskauer Gebiet einzubringen. Ihre Verwaltungspflichten nahmen weiter zu, als Zydsik in den ersten Monaten des Jahres 1952 ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Sweta erlitt einen schwerenNesselausschlag und konnte kaum einen Schreibstift halten. »Ausschlag ist gar keine Hautkrankheit«, schrieb sie Lew. »Er ist schmerzhaft und unangenehm … Der einzige Trost ist, dass es sich nicht um Krebs, nicht um Tuberkulose, nicht um etc., etc. handelt.«
    Wieder wurde sie von einer Depression übermannt. Auf Anraten ihrer Mutter suchte sie einen Homöopathen auf, der ihr Anacardium verschrieb, das weithin gegen Gedächtnisverlust und Reizbarkeit

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