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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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eine Erholungsreise machen.« Lew antwortete am 6. August:
     
Ich glaube wirklich, Du solltest Deine Reise nach Norden dieses Jahr absagen. Selbst wenn Du bei bester Gesundheit wärst, würde die Sache anstrengender als sonst werden, da Deine Zeit in diesem Jahr stark beansprucht wird und Du Dich auf keinen Fall um alles kümmern kannst. Du musst Deine Mutter pflegen und mit ihr irgendwohin fahren, Du musst Dich selbst erholen und versuchen, Deinen Urlaub mit dem von Irina [Krause] zu koordinieren. Und es ist kompliziert, Deinen und M. A.’s [Zydsiks] Urlaub bei der Arbeit unter einen Hut zu bringen. Sweta, vielleicht können wir irgendwie bis zum Ende des Jahres ausharren?
     
    Sweta verbrachte den Sommer damit, ihre Mutter zu verschiedenen Sprechstunden und in mehrere Krankenhäuser zu begleiten. Im August wurde bei Anastasia spinale Osteoarthritis diagnostiziert. Sie weinte unablässig und konnte nachts nicht schlafen. Dann, im September, hieß es, sie habe Tb. Anastasia legte sich, wie sie glaubte, aufs Sterbebett und überließ es Sweta, sie und ihren Vater Alexander zu versorgen, der an einer unerkannten Leberkrankheit litt. »Papa hat stark abgenommen (4 Kilo in diesem Sommer)«, schrieb Sweta am 28. September, »und er hat Schmerzen in der Seite.« Von Juli bis Oktober hetzte Sweta sich ab: Sie kümmerte sich nach der Arbeit um ihre Eltern, eilte zwischen der Wohnung und dem Krankenhaus, wo ihr Vater Tests unterzogen wurde, hin und her und kaufte für die Familie ein. Spät am Abend, wenn sie erschöpft und in Tränen aufgelöst war, schrieb sie an Lew. Ihre Briefe lasen sich wie Krankenberichte.
    Sogar im Oktober hoffte sie noch, Lew besuchen zu können, doch er riet ihr erneut ab. »Es wird Dir bestimmt schwerfallen, wegzufahren«, schrieb er am 20. Oktober, »wenn Du wegen Deiner Mutter unsicher bist … Es wäre am besten, zu warten, bis es ihr besser geht, und dann einen richtigen Urlaub zu machen: zumBeispiel Ski zu fahren, was Dir helfen wird, Dich zu entspannen. Nimm Deine Urlaubstage auf keinen Fall, um hierherzukommen. Alles in diesem Jahr ist gegen uns – Deine Gesundheit und die Deiner Mutter und die Jahreszeit.« Vier Tage später berichtete er Tante Katja über seine Besorgnis: »Sweta schrieb, dass Du versprochen hattest, sie am Sonntag zu besuchen, jedoch nicht erschienen bist. Sie fürchtete, dass Du krank sein könntest, aber sie war nicht in der Lage, selbst zu Dir zu fahren, weil ihre Mutter ans Bett gefesselt ist. Die Situation bei ihnen zu Hause ist sehr schwierig.«
    Im November nahm Sweta endlich Urlaub, blieb jedoch ausschließlich daheim, um ihre Mutter zu pflegen. »Mein Urlaub geht sehr schnell vorbei«, schrieb sie Lew am 8. November. »Eine Woche – ein Viertel – ist bereits verstrichen. Das ist schlimm. Mama gewöhnt sich daran, mich um sich zu haben. Gestern klagte sie, ich hätte sie vergessen, weil ich eine Zeitlang fort war. Und heute, als sie aufwachte, bat sie mich, nirgendwohin zu gehen. Sie ist wie ein kleines Kind.«
    Je länger Lew ohne Sweta auskommen musste, desto häufiger sah er sie in seinen Träumen. »Ich habe mich verrechnet, Sweta«, schrieb er am 24. Dezember, »heute ist kein Brief von Dir eingetroffen. Ich habe wieder angefangen, von Dir zu träumen, sehr oft, aber das macht mir keine Freude, denn die Gefühle, die meine Träume begleiten, sind so deprimierend, und ich kann sie nicht abschütteln, nachdem ich aufwache.« Drei Tage später schrieb er erneut:
     
Wenn ich meine Bücher und Papiere beiseitelege, die Augen schließe und alle Gedanken an Kraftfelder, Zentrifugalregler und kohärente Rotationen verbanne, sehe ich Dich vor mir, und zwar so deutlich, dass mir die Kehle trocken wird. Und ich möchte Deine Hände nehmen und weinen, mein Gesicht in ihnen vergraben und wehklagen, weil Du so weit weg bist. Ich sehe Deine rote Strickjacke (die Du gar nicht mehr hast), eine Haarsträhne, die sich an Deiner Wange gelöst hat, die Fleckchen in Deinen Augen und Deine feuchten Lider. Ich sehe jede Einzelheit der Linien an Deinen Handflächen, die auf Deinem Schoßruhen. Ich möchte Dir immer wieder sagen, dass es keinen besseren Menschen als Dich gibt, dass ein einziger Gedanke an Dich alles für mich verblassen, alles andere trivial und belanglos erscheinen lässt.
     
    Lew verbrachte einen weiteren Silvesterabend mit der üblichen Gruppe von Freunden in Strelkows Labor. Am 2. Januar berichtete er Sweta:
     
Die Fröste sind hier die ganze Woche

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