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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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dem Steinbruch nicht an Lew wenden (es war verboten, einem anderen Häftling zu schreiben), aber er durfte sich an Sweta wenden:
     
Ich bin Dir sehr dankbar für all die Mühe, die Du Dir meinetwegen gemacht hast, für Deine Anstrengungen, Deine Aufmerksamkeit und Freundschaft. Ich kann nicht ausdrücken, was in meinem Herzen ist, und vielleicht sollten solche Gefühle verborgen bleiben. Manchmal meine ich, dass Lew sich sehr glücklich schätzen sollte, denn man findet nicht oft jemanden, der ein so guter Mensch ist wie Du.
     
    Im Dezember 1952 schickte man Oleg zurück nach Petschora. Er meldete sich bei Lew aus einem der Waldlager. »Heute habe ich einen Brief bekommen«, ließ Lew Sweta wissen, »und Du wirst nie erraten, von wem. Von Oleg! Ich war unbeschreiblich froh. Er ist jetzt nur 3 Kilometer entfernt von hier und hat das Gefühl, aus der Hölle entlassen worden zu sein.«
    Im Lauf des folgenden Jahres versuchte Lew, Oleg ins Holzkombinat verlegen zu lassen, indem er auf die dortigen Funktionäre einwirkte, und im Januar 1954 waren seine Bemühungen endlich erfolgreich. Oleg wurde einem Schlepperteam zugeteilt, das sich aus Häftlingen aus den baltischen Gebieten zusammensetzte. »Gesternhat Oleg uns besucht – nach sechsjähriger Not in der Wildnis«, schrieb Lew am 8. Januar. »Entgegen allen Erwartungen macht er einen positiven Eindruck – er scheint bei guter Gesundheit zu sein und wirkt jung. Allerdings sieht er ernster aus, und es gibt Anzeichen innerer Unruhe.« Innerhalb von Tagen schlug Lews Freude in Bestürzung um. »Je besser ich Oleg kennenlerne, desto weniger gefällt er mir«, klagte Lew am 24. Januar gegenüber Sweta.
     
Ich komme zunehmend zu der Überzeugung, dass er absolut nichts mehr im Innern hat – keinerlei tief gehende Meinungen, Prinzipien oder Gefühle. Nur noch demonstrative »Originalität«. Ich setze Anführungszeichen, weil er in Wirklichkeit keine besitzt. Es ist lange her, dass er originell war. Er spricht nie im Klartext, sondern versucht unablässig, witzig zu sein … Nichts davon war früher zu beobachten, anscheinend weil sein Publikum in den letzten Jahren ihm abgewöhnt hat, sich subtiler zu tarnen … Es ist natürlich traurig, denn hier haben wir ein weiteres Beispiel dafür, warum ich von den Menschen enttäuscht bin – umso unerfreulicher, weil es nicht das erste ist. Nachdem ich Falschheit in einer Person bemerkt habe, finde ich sie nun in vielen.
     
    Fünf Tage später bat er Sweta, die Verbindung zu Oleg abzubrechen. »Wir alle haben uns mit ihm zerstritten – nicht nur ich, sondern auch die beiden Nikolais. G. J. [Strelkow] mochte ihn nie besonders – und kann ihn nun überhaupt nicht mehr leiden.«
    Verängstigt bei dem Gedanken, was mit ihm selbst geschehen mochte, wenn er noch viel länger im Arbeitslager blieb, hatte Lew häufige Albträume, in denen es ihm nicht gelang, aus Petschora wegzukommen: Stets war ihm irgendein Hindernis im Weg, so dass er nicht heimkehren und zu Sweta, dem Mittelpunkt seiner Hoffnungen, finden konnte.
    Die beiden hatten einander seit zweieinhalb Jahren nicht gesehen, denn Sweta war 1952 und 1953 nicht in der Lage gewesen, nach Petschora zu reisen. Ihre Mutter lag mit Tuberkulose im Bett,ihr Vater war schwach und gebrechlich, und sie musste beide versorgen. Bei der Arbeit hatte sie Mühe, zusätzliche administrative Pflichten – infolge von Zydsiks Krankheit – zu bewältigen. »Alles drückt mich nieder, Ljowa«, schrieb sie im März 1953. »Ich kann mich zu Hause nicht ausruhen, aber ich kann auch nicht in irgendein Sanatorium oder in einen Ferienort fahren. Dort würde ich nur genauso weinen wie daheim.« Lew redete ihr zu, Urlaub zu machen – es bestand die Möglichkeit einer Campingreise in das Altaigebiet in Sibirien –, und er riet ihr, nicht nach Petschora zu kommen. Er erwartete, irgendwann im folgenden Jahr, möglicherweise im Juli1954 , entlassen zu werden. Allerdings mochte es, abhängig von der endgültigen MWD-Entscheidung, auch bis Dezember dauern. »Sweta«, hatte er im Juni 1953 geschrieben,
     
Du darfst die Gelegenheit eines Urlaubs im Altai oder in Jerewan unter keinen Umständen ausschlagen … Alle anderen Routen [das heißt nach Petschora] sind zu kompliziert. Wenn wir ein weiteres Jahr – oder höchstens anderthalb Jahre – warten müssen, dann sind wir dem gewachsen. Es ist nicht mehr so schlimm, Sweta.
     
    In mancher Hinsicht war es Lew, der Sweta in diesen letzten zwölf oder mehr

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