Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
Trennungsmonaten unterstützte. Sie hatten die Rollen vertauscht. Trotz seiner Ängste wurde Lew stärker, da sich die Bedingungen im Arbeitslager verbesserten und das Datum seiner Entlassung näher rückte. Sweta dagegen war von den Anforderungen, die ihre Eltern und ihre Arbeit stellten, zunehmend erschöpft.
    Anfang August fand Sweta sich zum ersten Mal in ihrem Leben im Krankenhaus wieder. Sie litt an einer Blutvergiftung und hohem Fieber. Nach ihrer Genesung folgte sie Lews Rat und machte einen Wanderurlaub im Altai. Im Anschluss daran wollte sie nach Petschora reisen, fühlte sich den Strapazen jedoch nicht gewachsen. Lew war ihretwegen besorgt.
     
Swetloje, dank unserem Postsystem und der Auslieferung Deines Telegramms war ich nicht so erschrocken, wie ich es nach Tante Katjas Brief über Deine Krankheit hätte sein sollen. Aus dem gleichen Grund versetzten Deine Mitteilungen aus dem Krankenhaus mich nicht in eine noch größere Panik. Trotzdem bin ich ein wenig beunruhigt, dass Du während Deiner Reisen einen Rückfall in diese unbegreifliche Krankheit erleiden könntest.
     
    Es war qualvoll für ihn, sie so lange nicht sehen zu können, aber er fand im Warten einen paradoxen Trost:
     
Sweta, es drängt mich immer mehr, Dir alle möglichen unnötigen – und vielleicht sogar schmerzlichen – Dinge zu sagen, und ich versuche, den Mund zu halten. Darüber, wie schwierig es ist, Dein Gesicht so lange Zeit nur auf einem Foto zu sehen. Und darüber, dass die Schwierigkeit selbst eine Quelle der Freude ist. Und darüber, wie es mit jedem verstreichenden Jahr noch schwieriger und deshalb umso erfreulicher wird. Und darüber, wie Zeit und Entfernung folglich nicht nur fähig sind, das, was da ist, zu zerstören, sondern auch, es zu mehren.
     
    Am 22. September, um die Zeit ihrer früheren Besuche in Petschora, bat er sie, sich nicht zu grämen, weil sie ein weiteres Jahr verpasste. Mittlerweile rechnete Lew damit, im November 1954 entlassen zu werden, und er forderte sie auf, stark zu sein:
     
Sweta, mein Liebling, Du darfst Dir keine Vorwürfe machen – setz Deine Zukunft, Dein Glück und Deine Gesundheit nicht aufs Spiel. Du darfst Dich nicht durch Fahrten, Dienstreisen, die Pflege Deiner Mutter und Deines Vaters, durch Haushaltspflichten und Deine eigenen Probleme aufreiben. Schon gar nicht, da die Schurken in unserer Verwaltung in diesem Jahr viermal dümmer, bürokratischer und bösartiger sind als sonst. Swetin, letzten Endes sind es nur noch 14 Monate – das ist nicht mehrso viel. Versuch, gesund zu bleiben, Sweta, und zermartere Dich nicht durch Zweifel und Sorgen.
     
    Sweta erwiderte:
     
Natürlich, Lew, sind es nur noch 14 Monate, keine 14 Jahre. Und in meinen lichteren Momenten denke ich daran, aber wenn ich mich schlecht fühle, dann ist es wirklich schlimm. Man sollte sich nicht aufreiben, aber man sollte es schaffen, Dinge rasch, leicht, erfolgreich, ohne große Mühe zu erledigen. Und das ist mir nicht gelungen.
     
    Vorläufig bestand ihre Hauptaufgabe darin, Pläne für Lews Entlassung zu schmieden und darüber nachzudenken, wie sie ein gemeinsames Leben aufbauen konnten. Lew würde seine Optionen erst dann erfahren, wenn er die Entlassungspapiere vom MWD erhielt – darin würde festgelegt werden, in welchen Städten er nicht wohnen durfte –, aber es war unwahrscheinlich, dass man ihm gestatten würde, nach Moskau zurückzukehren (frisch entlassenen Häftlingen war es fast immer untersagt, sich in weniger als 100 Kilometer Entfernung von einer der großen Städte niederzulassen). Je weiter entfernt von der Hauptstadt er unterkam, desto leichter würde es ihm fallen, eine Arbeit zu finden, bei der er seine wissenschaftlichen Qualifikationen nutzen konnte, desto schwerer würde es aber auch für Sweta sein, mit ihm zusammenzukommen, wenn sie ihre Eltern nicht in Moskau zurücklassen wollte.
    Lew und Sweta hatten diese Fragen bereits 1949 besprochen. Damals hatte sie ihm vorgeschlagen, Poltawa in der Ukraine oder irgendeine andere Provinzstadt zu erwägen, wo er Arbeit als Lehrer finden und wo sie mit ihm zusammenleben konnte:
     
Ljowa, warum widerstrebt Dir die Vorstellung, als Lehrer zu arbeiten? Ich weiß nicht, wie es um Poltawa herum aussieht, aber meiner Meinung nach bieten die abgelegeneren Orte mehr Chancen. Natürlich, Ljowa, plane ich nicht, schon jetzt ernsthaft übersolche Themen zu reden, da wir absolut nichts darüber wissen, wie sich die Dinge in einem halben Dutzend Jahren

Weitere Kostenlose Bücher