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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Anführer einer Sklavenrebellion auszuschalten.
    Lew wurde mehrere Male verhört. Eines Tages im Mai 1944 verhaftete man ihn mit 25 weiteren Männern und schickte alle zum Hauptgefängnis in Leipzig. Dort wurden sie einen Monat lang in einer Zelle mit nur einer einzigen Toilettenschüssel und einem Waschbecken an der Tür festgehalten. Am 4. Juli verlegte man sie schließlich in das berüchtigte Konzentrationslager Buchenwald bei Weimar, wo sie in einer Quarantänebaracke mit langen, durchgehenden Reihen von vier Etagen hohen Pritschen ausharren mussten. Die Gefangenen jeglicher Nationalität – Franzosen, Polen, Russen, Jugoslawen – wurden durch unterschiedliche Abzeichen an ihrer gestreiften Uniform kenntlich gemacht. Lew trug wie die anderen Russen ein Abzeichen mit einem »R« auf einem roten Dreieck.
    Nach einem Monat Quarantäne wurde die Pittler-Gruppe auf verschiedene, mit Buchenwald verbundene Hilfslager verteilt. Lew gelangte in eine Arbeitsbrigade der Munitionsfabrik Mansfeld bei Leipzig und dann in das Außenlager Buchenwald-Wansleben, ein verlassenes Salzbergwerk in Wansleben am See. Dort traf er in der ersten Septemberwoche ein. Damals wurde das Bergwerk – 400 Meter unter der Erdoberfläche und damit geschützt vor den Bombardements der Alliierten – in eine Reihe von Werkstätten umgewandelt, in denen die Gefangenen Motorenteile für die Maschinen der Luftwaffe montierten. »Für jeden dieser Räume starben Dutzende von Insassen«, berichtete ein französischer Gefangener, der mithalf, Tunnel ins Bergwerk zu graben. Lew arbeitete dort in den folgenden sieben Monaten und leistete Elf-Stunden-Schichten unter grausamen Bedingungen ab. »Für jede Verfehlung und jeden Rückgang des Arbeitspensums erhielten Gefangene zwanzig Schläge mit einemGummiknüppel, was unerträgliche Schmerzen bereitete, aber keine Spuren am Körper hinterließ.« 7
    Noch schlimmere Gräuel erwarteten ihn. Im April1945 , als die westlichen Alliierten durch Deutschland vorstießen, wurde Buchenwald-Wansleben von den Nazis geräumt. Am 12. April um 17 Uhr begann der lange Marsch. Die überlebenden Gefangenen verließen das Lager in einem Konvoi, der von offenen Lastwagen mit jeweils sechs bewaffneten SS-Wachmännern flankiert wurde. Sie gingen in Richtung Nordosten durch Felder an der Straße nach Dessau. Allerdings wussten Lew und seine Leidensgenossen damals nicht, wohin sie unterwegs waren. Sie hatten den Eindruck, zurück nach Buchenwald (in die entgegengesetzte Richtung) zu marschieren, was nur bedeuten konnte, dass sie sich dem Krematorium näherten, wo vor ihnen Zehntausende der von den Nazis ermordeten Opfer verbrannt worden waren. Manche der zerlumpten Gefangenen fielen unterwegs vor Erschöpfung um – und wurden sofort von den Deutschen erschossen. »Ich erinnere mich, dass wir um 20 Uhr zahlreiche Schüsse vom Ende der Kolonne hörten«, berichtete ein Franzose. »Die SS erschoss alle, die zu schwach zum Marschieren waren oder nicht schnell genug liefen.«
    Lew beschloss, die Flucht zu ergreifen. Er weihte Alexej Andrejew ein, einen Gefangenen aus der Pittler-Gruppe, der neben ihm marschierte. »Vor uns auf der Straße zur Rechten sah ich etwas brennen«, entsann sich Lew. »Ein ausgebombter deutscher Lastwagen stand in Flammen. Ich sagte, wenn wir beim Vorbeimarsch zu den Büschen jenseits des Lastwagens liefen, würden die Wachleute hinter uns wegen der Flammen nichts bemerken. Andrejew war einverstanden.« Die beiden Männer warfen sich in die Büsche hinter dem brennenden Lastwagen und warteten, bis sich die lange Kolonne entfernt hatte. Dann krochen sie in das Feld, gruben sich in die Furchen hinein und bedeckten sich mit getrocknetem Gras, umihre gestreiften Gefängnisuniformen zu verbergen. Lew hatte, wie er sich später erinnerte, größere Angst als je während des ganzen Krieges.
    Am Abend schoben sie sich in den Wald vor. Vor sich hörten sie Kanonenfeuer. Ein großer Teil des Waldes war bereits durch den Beschuss zerstört worden. Durch die Bäume sahen sie ein helles Licht – einen Suchscheinwerfer –, und daneben konnten sie die Schatten mehrerer Panzer erkennen. Es waren amerikanische Panzer.
    Aus der Dunkelheit erschien ein Amerikaner und rief ihnen zu: »Waffen weg!«
    Lew erwiderte auf Englisch: »Wir sind unbewaffnet.«
    »Wer seid ihr?«
    »Russische Offiziere. Wir sind aus einem Konzentrationslager entkommen.«
    Lew erklärte, dass sie in Buchenwald gewesen seien und nun in die Sowjetunion

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