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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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ausdrucksvollem Gesicht und lebhaften Augen namens Ljubomir (»Ljubka«) Terlezki. Er sollte Lews teuerster Freund werden, denn dieser wusste seine feine Intelligenz, sein poetisches Temperament, seinen Witz und seine Sensibilität hoch zu schätzen. Terlezki war seit sechs Jahren in Petschora und konnte Lew helfen, sich einzugewöhnen. Man hatte ihn1939 , kurz nach dem sowjetischen Einmarsch in Lwow, mit achtzehn Jahren verhaftet. Die NKWD-Offiziere hatten bei ihm zu Hause eine Landkarte, einen Kompass und einen Rucksack gefunden (Ljubka war ein begeisterter Wanderer) und dies als Beweismaterial für deutsche Spionagetätigkeit interpretiert. Nachdem sie Terlezki durch Schläge zu einem Geständnis gezwungen hatten, wurde er zum Tode durch Erschießen verurteilt. Zwei Monate lang saß er in einem Gefängnis in Kiew und wartete auf die Hinrichtung. Aber dann wurde das Urteil in zehn Jahre Zwangsarbeit im Lager umgewandelt. Auf dem Konvoi nach Petschora war Terlezki dem Tode nahe gewesen. Er wurde einem Team zugewiesen, das Feuer- und Bruchholz am Flussufer sammelte und es mit Karren 500 Meter bergauf zum Kraftwerk schleppte, wo das Holz in die Dampfmaschinen gelangte, die Energie für das Holzkombinat produzierten. Terlezki war der Schwerarbeit nicht gewachsen. Die Heizerdes Kraftwerks merkten, dass er an Erschöpfung sterben würde, hatten Mitleid mit ihm und nahmen ihm die Arbeit ab, damit er sich ausruhen konnte. Dies war doppeltes Glück, denn im Kraftwerk wurde Viktor Tschikin, der Leiter der Elektrogruppe, auf Terlezki aufmerksam. Tschikin, selbst Häftling, war von Ljubkas Intelligenz beeindruckt und ließ ihn zu seinem Elektrikerteam versetzen.
    Die Koje neben Lews gehörte Alexej (»Ljoscha«) Anissimow, einem ehemaligen Studenten am Moskauer Institut für Verkehrstechnik. Er war ein schüchterner und stiller Mann, den Lew in seinen Briefen an Sweta liebevoll als »prächtigen Burschen« beschrieb. Anissimow war 1937 verhaftet und wegen »antisowjetischer Aktivität« zu fünfzehn Jahren verurteilt worden. Die 2. Kolonie setzte sich vorwiegend aus »Politischen« wie Lew, Terlezki und Anissimow zusammen. Viele (genauer gesagt, 83) waren in der deutschen Besatzungszone festgenommen und bei ihrer Rückkehr in die Sowjetunion als »Spione« oder »Kollaborateure« inhaftiert worden oder in die Welle der Massenverhaftungen geraten, welche die sowjetische Wiedereroberung dieser Gebiete in den Jahren 1944/45 begleitete.
    Die anderen Kolonien im Holzkombinat enthielten unterschiedliche Häftlingskategorien. Die 1. (in einem separaten Sektor außerhalb der Industriezone) bestand aus »Sonderumsiedlern« ( spezperesselenzy ) , die man per Verwaltungsbefehl in den Gulag geschickt hatte. 1946 hielten sich etwa 500 von ihnen im Lager auf. Die 3. Kolonie (am Fluss) umfasste Kriminelle und andere Insassen, die besonderen Bedingungen unterlagen. »Sie [die 3. Kolonie] liegt neben unserer, ist aber viel strenger«, schrieb Lew später. »Häftlinge werden dorthin gebracht, wenn sie gegen die Vorschriften verstoßen, und der nächste Schritt ist ein Strafkonvoi.«
    Laut einem Bericht der Lagerverwaltung, die 1947 Unruhen in der Kolonie unter die Lupe nahm, waren die Verhältnisse in der 3. »erschreckend«. Die Häftlinge hatten keine Bettwäsche, die Waschbecken waren zerbrochen, und alles war voller Ratten.
    Lew wurde dem allgemeinen Arbeitsteam zugeordnet, das Holz vom Flussufer zum Kombinat transportierte. Dies bedeutete, dass schwere Stämme einen Hügel hinauf zum Förderband gewuchtetwerden mussten, wo man sie mit Hilfe von Winden, Rollen und Kabeln zur Sägemühle beförderte. Es war Knochenarbeit, bei der die Männer stundenlang im eiskalten Wasser stehen mussten. Im Sommer, wenn es die ganze Nacht hindurch hell war, ließen sich die Mücken nicht ertragen. Deshalb verhüllten die Häftlinge Gesicht und Hände mit Lappen, bevor sie zur Arbeit gingen.
    Wie alle Teammitglieder erhielt Lew die Standarduniform: eine Mütze mit Ohrenklappen, einen wattierten Kolani, dicke Baumwollhosen, Handschuhe und Winterschuhe aus dem gleichen Stoff wie die Jacken. Die Schuhe waren weder mit Fell noch sonst wie gefüttert, und es bestand keine Möglichkeit, sie in den klammen und schlecht gelüfteten Baracken zu trocknen. Dementsprechend waren seine Füße immer feucht.
    Die Häftlinge arbeiteten Zwölf-Stunden-Schichten, die vor dem Morgengrauen begannen, und erhielten 600 Gramm Brot pro Tag, wenn sie die Norm erfüllten, aber nur

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