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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Wirklichkeit sind sie sehr schwierig und vielleicht sogar erniedrigend, obwohl vielleicht nicht, wenn wir in solchen Momenten »Die schmale Eberesche« 18 singen, meine herrliche Sweta. In den meisten Fällen werden nur ein paar Minuten in der Wache am Tor in Anwesenheit eines Wärters gestattet … Hin und wieder – und das geschah vor Kurzem mit Boris German und seiner Mutter – beschließt der Wärter im letzten Moment, ein von den Behörden genehmigtes Treffen zu verbieten … Freilich, es ist vorgekommen, dass man Begegnungen von mehreren Stunden an aufeinanderfolgenden Tagen innerhalb der Industriezone zugelassen hat, und einige davon waren praktisch unbeaufsichtigt (wie im Fall von Gleb [Wassiljew] und seiner Mutter), aber das ist selten und gilt in der Regel nicht für politische Häftlinge mit 58–1 (b). Eine Referenz der Kultur- und Erziehungsabteilung der Lagerverwaltung mag nützlich sein. Es ist jedoch nicht leicht, eine zu besorgen.Aber das ist nicht das Hauptproblem … Wenn ich an die wahrscheinlichen Umstände unseres Treffens denke, falls es je stattfindet, frage ich mich sofort, ob es Dir Genugtuung verschaffen oder nur den unerträglichen Schmerz wiedererwecken wird, der ein wenig nachgelassen hat, während wir uns an die neuen, doch bereits gefestigten Bedingungen unserer jetzigen Beziehung gewöhnt haben. Wirst Du die unmögliche Entfernung, die uns trennt, nicht noch deutlicher empfinden? Wird es nicht noch schwieriger für Dich werden, dort glücklich zu sein, wo andere glücklich sind?
     
    Sweta ließ sich nicht abschrecken. Ungeachtet der Risiken und Konsequenzen für sich selbst war sie entschlossen, nach Petschora zu reisen und sich mit Lew zu treffen, selbst wenn sie nur ein paar Minuten zusammen sein würden. Sollten die Gulagbehörden in Moskau ihren Besuch nicht genehmigen, würde sie sich direkt an die Lagerverwaltung in Petschora wenden. Und wenn diese sich ebenfalls weigerte, würde Sweta nach anderen Wegen suchen, ins Lager zu gelangen, vielleicht mit Unterstützung der freien Arbeiter, die Lew geholfen hatten. Wenn Briefe hineingeschmuggelt werden konnten, wieso dann nicht auch sie selbst? Es war ein ungewöhnlich mutiger und waghalsiger Plan. Niemand hatte je daran gedacht, in ein Arbeitslager einzubrechen.
    Zunächst hatte sie noch Zeit, Pläne zu machen und weitere Informationen zu sammeln. Es war gefährlich, im Winter, der in der Arktis bis Mai dauern konnte, nach Petschora zu reisen. Dagegen sprachen die langen Stunden der Dunkelheit und die Möglichkeit, dass Züge infolge der eisigen Temperaturen liegen blieben. Lew war im Kraftwerk für die Nachtschicht eingeteilt. Ende März entdeckte er die ersten Anzeichen des Frühlings. Gebannt von der Schönheit des frühen Morgenlichts, war er trotzdem, was für ihn kennzeichnend war, argwöhnisch gegenüber Hoffnungen und Illusionen:
     
Wenn ich die Station morgens verlasse, begebe ich mich nicht mehr in die Zwielichtschatten hinaus, die ich so sehr hasste, sondernin den Glanz der aufgehenden, wärmenden Sonne, welche die Ränder der Schneewehen zu halb geschmolzenen Zuckerwürfeln macht. Seltsamerweise gibt es Dinge, die nichts objektiv Schlechtes an sich haben, gegen die man aber aus irgendeinem Grund Abneigung verspürt. So etwas empfinde ich angesichts der Morgenröte … Einmal ging ich bei Tagesanbruch von der Arbeit nach Hause, und der Mond stand bereits niedrig. Plötzlich verblüffte mich die Schönheit des ungewöhnlichen Lichts. Die glatte Oberfläche des Schnees war hellblau in der frühen Sonne und dunkelgrau in den Schatten, während die Hänge der Schneewehen noch vom Widerschein des schwächer werdenden Mondlichts erhellt wurden. Und der Morgenhimmel, der durch die zarten Silhouetten der Kiefern drang, wandelte sich vom finsteren Grau und dunklen Blaugrün zu einer zarten Rosenfarbe … Im Moment sind die Tage hier frühlingshaft und wundervoll; der Frühling zeigt sich in jedem dunklen Fleck des langsam schmelzenden Schnees, und die Sonne scheut keine Mühe. Man sieht alles in einem besseren Licht. Man möchte sich ein wenig unterhalten (wonach mir selten zumute ist), eine Weile über eine prächtige Person sprechen oder … einfach nur Unsinn reden.
     
    Mit der Rückkehr des wärmeren Wetters schob sich das Thema eines Besuchs wieder in den Vordergrund. Im Juni reisten Nikolai Litwinenkos Eltern aus Kiew an. »Es war keine fröhliche Begegnung«, schrieb Lew, um Sweta zu warnen. Die Verwaltung des

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