Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Oktoberrevolution [7. November 1947] wieder in einen Buchladen stecken werde … Dieser Brief wird Dich frühestens um den 5. [September] erreichen. Wenn Du mir also etwas Dringendes mitzuteilen hast, dann bitte Lew Israilewitsch, ein Telegramm zu schicken, aber denk daran, dass mein Antwortbrief nicht rechtzeitig eintreffen wird. Außerdem kannst Du einen Brief postlagernd nach Kirow schicken. Um sicherzugehen, werde ich, während ich in Kirow bin, im Post- und Telegrafenamt nachfragen.
Zehn Tage später bestätigte Sweta ihr Vorhaben:
All meine Pläne bleiben bestehen, das heißt, am 15. werde ich nach Kirow und am 21. zu Dir reisen. Im Notfall schreib auf Kohlepapier sowohl nach M[oskau] als auch an die Postlagernd-Adresse in Kirow oder bitte den Namensvetter, ein Telegramm aufzugeben.
Unterdessen neigte sich der Sommer in Petschora seinem Ende entgegen. »Der Herbst rückt näher«, schrieb Lew am 4. September.
Vorgestern lag der erste frühmorgendliche Frost, der sämtliche Kartoffeln in den örtlichen Gemüsebeeten erfrieren ließ – außer in unseren, denn die eine Hälfte war über Nacht zugedeckt, und die andere Hälfte blieb verschont, weil sie sich in der Nähe der Trockner befindet, wo sich kein Frost bildet. Trotzdem werdensie kaum genießbar sein. Der Sommer war wirklich zu kurz. Die Nächte sind schon ziemlich real geworden; von 21 bis 2.30 Uhr herrscht Dunkelheit.
Lew erhielt Swetas Brief vom 20. August am 5. September, genau wie sie vorhergesagt hatte. Da er nun wusste, dass sie bestimmt kommen würde, musste er Pläne für ihren Empfang machen und dafür, Sweta ins Holzkombinat hinein- und dann wieder hinauszuschmuggeln. Am 7. September waren seine Vorbereitungen so weit gediehen, dass er ihr schreiben konnte:
Swet, Dein Brief ist, wie Du angenommen hast, am 5. September eingetroffen … aber ich habe ihn nicht sogleich beantwortet, weil ich hier etwas wegen der Durchführung Deines Plans klären musste. Dieser Brief wird Dich vielleicht nicht vor Deiner Abreise erreichen. Ich bin immer noch nicht in der Lage, etwas Konkretes zu schreiben, jedenfalls nicht vor heute Abend, aber ich muss jetzt beginnen, damit ich wenigstens eine Chance habe, dies rechtzeitig abzuschicken. Du wirst die genaue Adresse Deines Cousins 21 – bei dem Du zwei Tage wohnen kannst – aus einem Telegramm in Kirow (auf dem Telegrafenamt, postlagernd) erfahren. Schick ein Telegramm mit den Einzelheiten Deiner Abreise an meinen Namensvetter. Du wirst zu seinem Haus fahren müssen, um weitere Anweisungen zu erhalten und überflüssiges Gepäck zurückzulassen. Betrachte das als Dein vorläufiges Hauptziel. Über das, was als Nächstes geschieht, können wir uns später Gedanken machen. Wegen der Bücher bin ich verärgert über mich selbst. Ich fürchte, dass ich zusätzliche Probleme für Dich geschaffen habe – es wäre am besten, sie in einem Paket an mich oder, wenn er es akzeptiert, an meinen Namensvetter zu schicken, wie Du es ursprünglich geplant hattest, zusammen mit den Fotomaterialien.
Am 7. September, als Lew diesen Brief schrieb, war Sweta zu Hause, während Moskau seinen 800. Jahrestag feierte. Sie berichtete Lew aus ihrem Zimmer:
Die Salutschüsse sind gerade abgefeuert worden. Mama macht einen Spaziergang durch die Stadt, doch Papa und ich sind schon gestern lange unterwegs gewesen. Wir können alles wirklich sehr gut durch unsere Fenster erkennen: Zwei große leuchtende Porträts [von Stalin und Lenin] hängen an Ballons über dem Roten Platz; der Himmel über der ganzen Stadt ist voll von hellroten Fahnen (die ebenfalls an Ballons hängen); am A- und B-Ring [Boulevardring und Gartenringstraße] sind Flutlichter angebracht, und riesige Netze in Blau- und Lilatönen bewegen sich über den Himmel (weitere Ballons), wobei sie bunte Feuerwerksexplosionen auslösen. Ich liebe den Salut … Alle Brücken sind durch weiße Lichter hervorgehoben und mit Laternen und farbenfrohen Girlanden bedeckt. Die gesamte Flussflotille … ist geschmückt worden. Das Moskauer Kraftwerk wird von allen Seiten beleuchtet … Gestern sind Papa und ich um 22 Uhr hinausgegangen … Wir mussten uns durch die dichte Menge im Zentrum hindurchkämpfen. Auf allen Plätzen spielen Orchester unter freiem Himmel auf Konzertbühnen, 120 tragbare Scheinwerfer, Märkte mit Lebkuchenhäuschen, wohin man blickt … Ich glaube nicht, dass jemand irgendwo so etwas schon mal erlebt hat … Ganz Moskau war auf den
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