Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Straßen.
Drei Tage später, am 10. September, feierte Sweta ihren 30. Geburtstag. Lew hatte keine weiteren Nachrichten erhalten. Er sorgte sich wegen ihrer bevorstehenden Reise und war etwas durcheinander und frustriert, weil er ihr nicht helfen konnte, die vielen kommenden Gefahren zu bewältigen. Andererseits wagte er kaum zu hoffen, dass sie ihn tatsächlich besuchen würde.
Nichts entwickelt sich jemals so, wie man es erwartet. Ich werde noch für eine Weile nichts herausfinden können und habe esnicht einmal geschafft, mit I[srailewitsch] zu sprechen. Wenn es mir gelingt – in ungefähr zwei Tagen –, werde ich ein Telegramm aufgeben. Heute ist Dein Geburtstag. An diesem Tag verbringe ich immer gern ein wenig Zeit für mich allein. Deshalb sitze ich jetzt einsam an meinem Arbeitsplatz … Und ich denke an Dich. Meine Gedanken sind nicht immer klar oder glücklich, sondern manchmal eher verwirrend – na ja, so sollte es vermutlich auch sein. Nur eines ist klar: dass diese Gedanken das Wichtigste in meinem Leben sind, und es ist schlimm, dass ich sie nicht für etwas Nützliches verwenden oder in die Tat umsetzen kann.
Swetas Geburtstag verlief erfreulich, wie sie Lew am 12. September mitteilte:
Im Institut schenkten sie mir zwei gewaltige Blumensträuße (Gladiolen, Dahlien und Astern), und Mama gab mir einendritten (Nelken). Es heißt, dass Blumen ein gutes Omen sind. Ich habe einige der Astern in einer Flasche im Labor für mich selbst und ein paar in einem Becher für Mich[ail] Al[exandrowitsch] zurückgelassen. Die übrigen sind zu Hause. Irina und Schura schenkten mir ein besonderes Kleidungsstück, das ich mir für die Expedition nach Norden erbeten hatte. Schura war an meinem Geburtstag nicht da … aber Irina war es, genau wie Lida vom Institut … Mama hatte eine herrliche Kohlpastete gebacken, und es gab zwei Kuchen (erlangt mit Lebensmittelmarken anstelle von Zucker).
Die schlechte Nachricht war, dass Sweta nicht in der Lage sein würde, am 15. nach Kirow zu reisen, wie sie Lew angekündigt hatte. Im Institut waren Verzögerungen eingetreten. »Ich habe die Details der Dienstreise in meiner Aktentasche, aber das Lohnbüro ist leer, und vor dem 20. soll es kein Geld geben«, schrieb sie. Freunde und Verwandte begannen, Geld für sie zu sammeln, und brachten etwa 1000 Rubel auf, mehr als ihr Monatsgehalt. Zugleich erhielt sie »weitere 300 oder 400 Rubel« von ihrem Institut (eine Summe, die man ihr dafür schuldete, dass sie das Labor während Zydsiks Abwesenheit geleitet hatte), indem sie einen Bericht »über Löhne und Diskrepanzen bei Vergütungen« verfasste und in einen Stapel Papiere steckte, die der Direktor ohne genauere Prüfung unterzeichnete. Hätte sie das Geld persönlich erbeten, wäre sie zurückgewiesen worden (das Institut war knapp bei Kasse, und die Leitung suchte stets nach Vorwänden, ihr Personal nicht zu bezahlen), und möglicherweise hätte man ihr vorgeworfen, ihr fehle das erforderliche öffentliche Bewusstsein eines Forschungsgruppenleiters. Vielleicht hätte man ihr sogar einige peinliche Fragen danach gestellt, warum sie plötzlich Geld brauchte. Sweta war es unangenehm, den Direktor auf diese Weise zu hintergehen. Es verstärkte ihre allgemeine Besorgnis über die größeren Risiken, mit denen sie sich auf der Reise würde auseinandersetzen müssen. »Ich bin sehr nervös wegen der Vorbereitungen«, schrieb sie Lew. »Alles hat mit dem immer gleichen Aberglauben zu tun, dass ich, wenn ich alles erledige, letztenEndes nicht aufbrechen werde (oder dass, wenn ich doch aufbreche, etwas Schlimmes passieren wird).«
Währenddessen hatte Lew immer noch keinen Kontakt zu seinem Namensvetter aufnehmen können, um die Pläne für Swetas Ankunft zu klären. Wie er ihr erläuterte, hatte er seit dem 5. September nichts von Lew Israilewitsch gehört und ihn nicht einmal gesehen. »Deshalb konnte ich ihn nicht wissen lassen, was in Deinem Brief steht, ihn rechtzeitig informieren oder ihm Fragen stellen.« Für Swetas Besuch mussten immer noch wichtige Vorbereitungen getroffen werden, über die er sie nun durch ein Telegramm nach Kirow unterrichten wollte, sobald er mit Israilewitsch gesprochen hatte. »Alles in allem«, schrieb er Sweta am 17. September, »ist in den letzten zehn Tagen oder so nichts wirklich glattgelaufen.« Eine größere Komplikation, die sich kurz zuvor ergeben hatte, war die, dass Lew sich häufiger in den Baracken aufhalten musste
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