Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)
Sweta«, schrieb er zwei Tage später, »bis heute, den 3. Oktober, habe ich noch nichts von Dir gehört. Oh, wie schrecklich es ist. Und ich kann einfach an nichts anderes denken.«
Kurz darauf traf der Brief mit den beiden Fotos von Sweta ein, der von Lew Israilewitsch vorbereiteten »Überraschung«.
Meine süße, meine wunderbare Sweta … endlich! Gott sei Dank ist alles in Ordnung. Überhaupt danke ich jedem Einzelnen herzlich. Als ich Dein Schreiben las, erriet ich sofort, was für eine Überraschung Du im Sinn hattest, aber sie schien kein bisschen weniger unerwartet und freudig zu sein, als sie ankam. Du wirst in zehn Jahren die Gleiche (in einem Sessel) sein wie heute. Aber Du bist immer in jeder Hinsicht großartig …
Meine wahrhaft unglaublich schöne Sweta – alle schicken Dir Grüße, doch ich weiß nicht, was ich Dir schicken soll. Ich möchte nur an Dich denken, über Dich schreiben. Ich vermeide sämtliche Gespräche außer dem einen oder anderen mit Ljubka [Terlezki], und Lesen interessiert mich nicht … Dauernd betrachte ich Herbsttag und kann mich nicht davon losreißen … Meine Süße und Sanfte, ich drücke Deine Pfoten.
Am 5. Oktober war Sweta wieder in Moskau. Sie schickte Lew Israilewitsch kein Telegramm wie geplant, denn ein früheres war von jemandem auf dem Postamt in Koschwa abgefangen wordenund »sofort zum Eigentum aller Eingeborenen geworden« (was bedeutet, dass der Inhalt womöglich dem MWD übermittelt wurde). Doch zwei Tage später schickte sie Lew einen Bericht über ihre Heimreise:
Für 250 Rubel konnte ich einen Platz in einem Direktzug ergattern. Dein Namensvetter besorgte mir die Fahrkarte und begleitete mich zum Zug. Ich machte zum Andenken [ein Foto] von dem Häuschen Deines Namensvetters, in dem ich drei Nächte verbrachte. Zuerst schickte der Schaffner mich in ein fast leeres Abteil, aber ich war kaum eingeschlafen, als er vorschlug, ich solle die Plätze mit einem Mann wechseln, der sich in weiblicher Gesellschaft wiedergefunden hatte, und ich war gern dazu bereit. Ich setzte mich zu drei netten Mädchen – Fototechnikerinnen für eine Luftkartografie-Expedition. Sie waren an der Endstation [Workuta] eingestiegen und fuhren die gesamte Strecke nach Moskau. Es gab absolut nichts zu tun – ich hatte nicht daran gedacht, ein Buch für die Rückreise mitzunehmen –, weshalb ich während der ganzen Fahrt schlief … Ich wachte nicht einmal bei der Ankunft des Zuges auf.
Am Morgen des 5. (um 4.30 Uhr) traf ich zu Hause ein, machte ein Nickerchen und spielte eine Weile mit Alik. Dann ging ich in die Banja und kochte das Mittagessen. Mama hatte an diesem Tag wieder 39 Grad Fieber …
Moskau bereitete mir einen düsteren Empfang – kalt und regnerisch (aber nicht hoffnungslos). Die täglichen Sorgen haben nun nicht mehr mit Brot, sondern mit Kartoffeln zu tun, die in den Läden schwer zu finden sind und auf dem Markt bereits 7 Rubel kosten (früher waren es 3). Alle hamstern … Zucker ist zusammen mit Gebäck und Brötchen verschwunden. Es ist deprimierend. Die Bäume haben ihre Blätter fast verloren, und an den Marktständen gibt es keine Blumen. Also, Ljowa, mein Lieber, ich verabschiede mich fürs Erste. Mit meiner ganzen Liebe. Alle, die ich hier habe besuchen können, lassen Dich grüßen. Sweta.
Grüße und Dank an alle dort.
18 Ein russisches Volkslied ( Tonkaja rjabina ) , dessen trauriger und schöner Text eine besondere Resonanz bei Lew und Sweta fand:
Warum schwankst du,
Schmale Eberesche,
Mit bis zu deinen Wurzeln
Gebeugtem Haupt?
Auf der anderen Straßenseite,
Jenseits des breiten Flusses,
Steht ebenfalls allein
Eine hohe Eiche.
Wie kann ich, die Eberesche,
Der Eiche näher kommen?
Wenn ich es könnte, würde ich nicht
Gebeugt sein und schwanken.
Mit meinen schmalen Zweigen Würde ich mich an die Eiche schmiegen,
Und mit ihren Blättern würde ich
Tag und Nacht flüstern.
Aber die Eberesche kann nie
Zu jener großen Eiche gelangen.
Sie ist für immer verdammt,
Allein sich zu beugen und zu schwanken!
19 Artikel 58–1 (a) betraf Vaterlandsverrat und zog ein ähnliches Urteil wie Lews Artikel 58–1 (b) (Vaterlandsverrat durch Militärangehörige) nach sich.
20 Anton Franzewitsch Gawlowski, ein Häftling in Petschora seit 1938 , arbeitete als Assistent in Strelkows Labor.
21 Code für den freien Arbeiter, der sich einverstanden erklärt hatte, Sweta in der Industriezone zu
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