Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
Vom Netzwerk:
Durchzug, weshalb er die Fenster geschlossen hält. Aber mein Fensterchen öffnet sich sowieso nicht weit genug. Ich habe Dich mindestens fünfmal in meinen Träumen gesehen. Es könnte daran liegen, dass das Ende Deiner Haft realer wird oder näher rückt. Wahrscheinlich ist es Aberglaube, dass ich Dich jetzt nicht wiedersehen werde, sondern aus irgendeinem Grund bis zum Herbst warten muss, was ohnehin besser sein mag …
     
    Ski- oder Schlittschuhfahren tat ihr gut. »Im Augenblick«, schrieb sie Lew am 10. März, »ist Skifahren das Einzige, was mir uneingeschränkt Freude macht – mehr als Literatur, Konzerte und sogar andere Menschen.«
     
Es ist so schön im Wald, wenn die Sonne durch die Wolken lugt, so rein (in jedem Sinn des Wortes), dass man unwillkürlich denkt (und es dann unbeabsichtigt ausspricht): »Es ist schön, am Leben zu sein.« Ich weiß nicht, warum, aber der Schmerz lässt nach. Irgendeine Physiologie des Glücks.
     
    Sweta wollte dem Wintersport mehr Zeit widmen, obwohl ihre Mutter ihr zuredete, daheim zu bleiben, da sie meinte, ihre Tochter sei nicht in der geeigneten körperlichen Verfassung. Nur Lew ermutigte sie, öfter das Haus zu verlassen und ihr normales Leben zu führen, um so ihre Depression zurückzudrängen. »Fahr irgendwohin«, riet er ihr am 15. April. »Neben Deiner physischen Gesundheit musst Du auch an Deinen inneren Zustand denken, der sich genauso sehr auf die Psyche auswirkt wie äußere Faktoren und mitunter die eigentliche Ursache sein dürfte.« In seiner Sorge um Swetas Gesundheit wandte er sich an seinen Onkel Nikita, der sie, wie er hoffte, im Auge behalten würde. »Es ist so schwierig für sie«, schrieb er ihm in jenem April, »und zwar in jeder Hinsicht, obwohl sie es nicht direkt zugibt.«
    Sweta hatte einen kleinen Kreis von Freundinnen, denen sie sich anvertrauen konnte. Abgesehen von Irina Krause und Alexandra Tschernomordik verbrachte sie viel Zeit mit drei Frauen, die jeweils einen Mann und ein Kind verloren und doch einen Weg gefunden hatten, mit ihrem Leid zu leben. Dies weckte Swetas Mitgefühl und veranlasste sie, sich mit ihnen zu identifizieren. Die erste, Lidia Arkadjewna, arbeitete im selben Institut und war eine begeisterte Sportlerin und Bergsteigerin. Sie schürte Swetas Begeisterung für Skifahren und Schlittschuhlaufen. »Warum also habe ich mich Lidia zugewandt?«, schrieb Sweta am 25. Februar an Lew.
     
Weil sie klug, scharfsinnig, lebhaft, stark ist und sich für eine Menge Dinge interessiert usw., usw. Sie ist eine wunderbare Skifahrerin und läuft oft Schlittschuh, dabei ist sie fast zehn Jahre älter als ich, ihr Mann fiel im Krieg, sie verlor ihren 14-jährigen Sohn vor einem Jahr (durch einen schrecklichen Verkehrsunfall 25 ), und sie ist allein auf der Welt. Ich beobachte sie und versuche, von ihr zu lernen.
     
    Die zweite, jüngere Freundin hieß Klara und war als technische Assistentin im Institut beschäftigt. Vor dem Krieg hatte man ihre Familie Repressionen ausgesetzt und Klara selbst im ersten Studienjahr vom Chemisch-Technischen Institut in Charkow verwiesen. Danach hatte sie mehrere Jahre in der Verbannung verbracht, wie sich aus einem Kommentar von Sweta schließen lässt: Sie erwähnt in einem ihrer Briefe, dass Klaras »übermäßige Vertrautheit mit der Geografie« die Wurzel ihrer Probleme sei. Trotz mehrerer Versuche, sie aus dem Institut hinauszudrängen, klammerte sich Klara an ihren Posten, so schlecht bezahlt er auch war. Sie hatte ebenfalls ein Kind verloren. Ihr Mann war in Petschora inhaftiert, und sie hatte ihn dort mehrere Male besucht, wobei sie von Tamara Alexandrowitsch untergebracht wurde. Lew hielt viel von Klara und verteidigte sie gegen Wladimir Alexandrowitschs Behauptungen, sie warte nur deshalb auf ihren Mann, weil er aus einer vermögenden Familie stamme. Andererseits waren Lews persönliche Eindrücke von ihr »zu oberflächlich«, als dass er gänzlich sicher sein konnte (»nett aussehend, fast langweilig, mit einer vampirhaften Maniküre und ebensolchen Ringen … wirkt sie relativ intelligent und kaum fähig zu so abgefeimter Berechnung«). Swetas Worte über Klara waren wie immer schonungslos und aufschlussreich:
     
Ich kann mir vorstellen, dass Tamara mehr von Klara hält als von mir – wegen ihrer ausgeprägteren Weiblichkeit, ihrer Ordnungsliebe,ihres Interesses an Komfort, Kleidung etc. Wahrscheinlich stehen sie sich auch deshalb nahe, weil beide Mütter sind und beide ein Kind

Weitere Kostenlose Bücher