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Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition)

Titel: Schick einen Gruß, zuweilen durch die Sterne: Eine Geschichte von Liebe und Überleben in Zeiten des Terrors (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Orlando FIGES
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Gesicht zu sehen ist … Und Swetin, mein Liebling, mein Schatz – um mit diesen einfachen Dingen fortzufahren –, bitte vernachlässige nicht die Pflege Deiner Zöpfe beziehungsweise, falls Du sie abschneidest, die Deiner zerzausten Locken – das ist Nummer eins. Zweitens, versuch, Deine Sonntage nicht vergehen zu lassen, ohne Dich eine Weile von häuslichen und beruflichen Pflichten zu entfernen; fahr Ski, Schlittschuh oder mit dem Boot oder mach schlicht einen Ausflug … Liebste Sweta, bleib gesund – letzten Endes gibt es keine andere Möglichkeit, Dir mitzuteilen, was ich Dir wünsche. Hier sollte irgendein Superlativ stehen, um das Verb, nicht das Adjektiv zu verstärken.
     
    Sweta hatte Anfang 1949 etliche Pflichten und Sorgen zu bewältigen. Sie steckte bis zum Hals in Verwaltungsaufgaben, weil sie Bauarbeiten und Renovierungen im Institut organisieren musste, damit ihr Labor in den vierten Stock verlegt werden konnte. Gleichzeitig leitete sie neue Forschungen über die Kompression von Gummi,kämpfte für mehr Mittel vom Ministerium und verfasste Prognosen für den Fünfjahresplan. Die Arbeit gefiel ihr nicht. »Es macht mir nicht die geringste Freude«, schrieb sie. Der wachsende Stress ließ sie fürchten, wegen eines Fehlers oder »weil ich etwas zulasse, das nicht zugelassen werden sollte«, in Schwierigkeiten zu geraten.
    Damals, auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, waren sowjetische Naturwissenschaftler wachsendem Druck durch den Staat ausgesetzt. Man kritisierte und entließ Physiker, weil sie »sich dem Westen gebeugt« hätten oder weil sie die »idealistische« Philosophie der Quantenmechanik vertraten, die erneut, wie bereits in den dreißiger Jahren, als unvereinbar mit dem dialektischen Materialismus, der »wissenschaftlichen« Grundlage des Marxismus-Leninismus, attackiert wurde. Manche fielen deshalb »Säuberungen« zum Opfer, weil sie »Kosmopoliten« (d. h. Juden) waren und damit einer »antipatriotischen Gruppe« angehörten, der man vorwarf, die sowjetische Kunst und Wissenschaft im ideologischen Kampf gegen den Westen zu untergraben. Mindestens zwei von Swetas Kollegen im Institut (Witali Epschtein und Lasar Winnizki) wurden während der »antikosmopolitischen« Kampagne, die im Januar 1949 begann, aus Moskau ausgewiesen, und viele andere sowjetisch-jüdische Wissenschaftler verloren ihre Posten in der Welt der Forschungsinstitute, in der sich Sweta bewegte.
    Lew war beunruhigt über den Tribut, den all das Swetas Gesundheit und seelischer Verfassung abforderte. Sie nahm Lebertran und Phenobarbitol, »um meine Nerven zu beruhigen«, wie sie Lew erklärte, »und um nicht aus der Haut zu fahren und alle anzufauchen«. Die Barbiturate schienen eine positive Wirkung zu haben. »Diese Tabletten helfen mir«, schrieb sie Lew.
     
Erstens wahre ich irgendwie die Fassung, weine nicht, sondern lache (vielleicht lache ich, um nicht zu weinen), und zweitens nehme ich nicht mehr ab, obwohl mein Appetit noch nicht zurückgekehrt ist (als ich in der Fabrik gewogen wurde, war ich 56 kg schwer), und alle sind sich darin einig, dass ich allmählich besser aussehe.
     
    Obwohl Sweta sich nicht rühmte, attraktiv zu sein, waren andere gegensätzlicher Meinung. Auf einer Party bei Nina Semaschko wurde sie am späten Abend in ein Gespräch mit einer kleinen Gruppe von Freunden verwickelt, darunter
     
Pawel, ein Bekannter (kein sehr enger), mit dem ich zum ersten Mal seit 13 Jahren plötzlich einen gemeinsamen Nenner fand. Ich muss zugeben, dass ich mir dies niemals gestattet hätte, wäre ich völlig nüchtern gewesen – die Unterhaltung drehte sich um Menschlichkeit, Glück, Arbeit und andere erhabene Themen. Ich traf um 3 Uhr morgens zu Hause ein. Und derselbe Pawel (ebenfalls weit vom Zustand der Nüchternheit entfernt) machte mir auf dem Heimweg Vorwürfe, weil ich früher ein doppeltes Spiel gespielt hätte. Obwohl ich mit Dir zusammen sei, hätte ich ihm alle möglichen Dinge erzählt. Dabei kann ich mich beim besten Willen nicht erinnern, je mehr als zwei Worte mit ihm gewechselt zu haben. Ich dachte immer, er sei in Ninka vernarrt und ich sei ihm gleichgültig. Falls ich ihm gegenüber wirklich jemals eine Bemerkung gemacht habe, dann wahrscheinlich nur, um die Notwendigkeit oder Möglichkeit eines ernsten Gesprächs mit ihm zu vermeiden.
     
    Pawel war nicht der einzige Mann, der Interesse an Sweta zeigte. Bei Kriegsende hatte sich eine weitere Episode ereignet, die sie Lew 1948

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